Atlantik Tag 15-17: Ganz schön frisch hier im Norden

Wie versprochen, berichten wir am Wochenende ganz aktuell von unserer gerade stattfindenden Atlantiküberquerung.

Sonntag, 29. Mai 2022 – Es piept!

Eigentlich sollte ich mir abgewöhnen, allzu regelmäßig einen neuen Wetterbericht abzuholen. Zumindest hier in der Gegend. Einerseits sind wir als kleines Segelboot ohnehin zu langsam, um wirklich durchgreifend auf die großen, um uns wabernden Hoch- und Tiefdruckgebiete reagieren zu können. Ja klar, ein paar grundlegende Entscheidungen sind schon ableitbar. Aber dafür brauche ich keine tägliche Aktualisierung der Augurenvision, genannt Wettervorhersage. Andererseits ändern sich die Prognosen zurzeit wirklich jedes Mal. Teils gravierend. Und das nicht nur lang-, sondern durchaus schon im mittel- bis kurzfristigen Horizont. Immer wieder scheint alles jenseits der nächsten 1-2 Tage eher ein wilder Griff in den berühmt-berüchtigten Kessel Buntes zu sein. Und heute morgen war dieser Griff – zumindest aus unserer Sicht – leider nicht sehr farbenfroh.

Ich will euch da jetzt nicht mit morgen schon wieder veralteten Details nerven. Es reicht völlig, wenn ich mich darüber echauffiere. Schon am Vormittag lässt der Wind wieder drastisch nach. Wir freuen uns über 3 Bft., der uns im Schnitt mit irgendwas zwischen maximal 3 und 4kn immerhin so halbwegs Richtung Azoren schiebt. Am Nachmittag schaffen wir bei nun oft nur noch 2 Bft. teils kaum 3kn. Doch wir wollen so lange wie möglich segeln und Diesel sparen. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an. Immerhin scheint die Sonne.

An Angelglück ist weiterhin nicht zu denken. Unentwegt treibt braunes Kraut umher. Dazwischen glitzern immer wieder Gasblasen-Segel von Portugiesische Galeeren. Sie sind allerdings recht klein. Jedenfalls deutlich kleiner als die möglichen 30cm (wie wir sie 2019 gesehen haben). Vielleicht ist es doch nicht die klassische Physalia physalis mit ihren bis zu 50m Tentakel-Länge, sondern eine kleinere Verwandte?! Die Gasblase der Physalia utriculus misst nur etwa 3-15sm. Das passt eher. Deren Tentakel kommen immerhin noch auf bis zu 10m.

Am Nachmittag lässt der Wind immer mehr nach. Wir haben wohl so langsam das Zentrum des Hochdruckgebietes vor uns erreicht. Wieder muss der Motor ran. Na wenigstens verspricht es eine entspannte Nacht zu werden, in der der Skipper sich eine ordentliche Mütze Nachtwachenschlaf gönnen kann.

Falsch gedacht! Am frühen Abend geht ein eindringliches Piepen durch das Cockpit bis in den Salon. Das Motorpaneel gibt Batteriealarm. Mal wieder. Das hatten schon hin und wieder, aber das letzte Mal ist Monate her. Das Phänomen ging stets mehr oder weniger so schnell, wie es gekommen war. Heute Nacht beschließt es, mir Gesellschaft zu leisten.

Der Alarm warnt laut Handbuch vor einer Über- bzw. Unterspannung beim Laden. Der Batteriemonitor zeigt auch hohe 14V-Spannungen, aber die sind (zumindest nach meiner bescheidenen Kenntnis) so gerade noch im Rahmen des Erlaubten. Doch der Alarm piept. Aktuell können wir ohnehin nur eines machen: Stumm schalten. Das geht direkt am Motorpaneel. Das Problem ist nur, dass der (stumme) Alarm auch irgendwann von selbst wieder verschwindet. Wieso das ein Problem ist? Nun ja, spätestens einige Minuten danach tritt er wieder auf und es piept wieder. Stummschalten Piepen Stummschalten wie war das mit einer ruhigen Nacht? Keine Chance.

Gegen vier Uhr habe ich die Idee, unsere Bugbatterie abzuklemmen. Bei ihr wird die höchste, vermutlich den Alarm auslösende Spannung angezeigt. Bringt nur leider nichts. Dem Sensor ist egal, ob da eine Batterie dran hängt oder nicht. Das Spiel geht munter weiter. Nun gut, ich versuche das Beste daraus zu machen, hole mir ein Bier, kuschel mich im Cockpit unter eine Decke, lese ein Buch und stehe halt alle paar Minuten auf, um diesen besch*** Alarm wieder stumm zu schalten.

Der Morgen nach einer piependen Nacht…

Montag, 30. Mai 2022 – Uns fröstelt…

Wir sind inzwischen bei über 32° nördlicher Breite. Das zeigt sich auch am Himmel. Der lange unter dem Horizont verschwundene Polarstern weist nun wieder deutlich sichtbar Norden an. Die Sternbilder werden vertrauter. Und wir haben wieder eine ausgiebige Dämmerung. In Äquatornähe geht die Sonne unter und 10 Minuten später ist es Zappenduster. Morgens wird es umgekehrt erst kurz vor Sonnenaufgang hell. Hier dagegen erhellt sich der Horizont schon gut eine Stunde vorher. Im ersten Licht des Tages sehe ich wieder Portugiesische Galeeren auf dem ruhigen Wasser. Immer und immer wieder passieren wir die kleinen Segel unglaublich, wie viele das hier sind.

Ein anderer Aspekt unserer Reise nach Norden ist, dass es merklich frischer wird. Tagsüber kommen wir unter Deck noch gerade so über 25°C. Das sind wir einfach nicht mehr gewohnt. Ohne Sonne wird es gefühlt empfindlich kühl. Schon seit einigen Nächten trägt der Skipper Kapuzenpulli und lange Hose im Cockpit. Die Crew tendiert sogar dazu, sich in der Koje in dünne Decken einzuhüllen. Nun ist es soweit. Nach über einem Jahr kramen wir die die ersten Bettdecken wieder raus. Wir kommen unweigerlich in lange Jahre vertraute Spähren zurück.

Unter genau solch eine Decke kuschelt sich der Skipper dann auch den ganzen Vormittag in der Koje ein. irgendwann muss ich ja schlafen. Hin und wieder höre ich es beim Wegdüseln noch piepen, bevor nun La Skipper zum Motorpaneel eilt. Einige Stunden später wache ich auf und wundere mich über die Ruhe. Es piept nicht mehr. Na hoffentlich bleibt das so. Spoiler: Die Hoffnung wird enttäuscht.

Entgegen meiner guten Vorsätze hole ich am Nachmittag nochmal einen neuen Wetterbericht. Ja, wir sind in der Flaute. Das weiß ich auch so. Immerhin bessert sich die weitere Vorhersage. Spätestens morgen sollten wir wieder segeln können. Es sei denn, die Vorhersage überlegt es sich mal wieder neu. Vielleicht sollte ich das mit dem Wetterbericht doch bleiben lassen?!

Flaute

Wenn wir schon beim Thema es bleiben lassen sind. Könnte das Motorpaneel bitte mal das nächtliche Alarmpiepen bleiben lassen? Zur Sicherheit prüfe ich die Spannung des frisch erneuerten Keilriemens. Die passt. Hätte mich auch gewundert. Schließlich verrichtet am (ruhigen) Tag der gleiche Keilriemen seine Arbeit, wie in der (piependen) Nacht. Mit Schlaf wird das also auch heute Nacht erst einmal nichts.

Wenn wir schon beim Thema es bleiben lassen sind. Die Angel bleibt jetzt auch erst einmal drin. Unser letzter Fang hat gereicht. Wir haben tatsächlich die Blase einer Portugiesischen Galeere an den Haken bekommen. Inklusive Tentakelansatz. Das lassen wir jetzt erst einmal gut in der Sonne durchtrocknen, bevor wir uns mit Gummihandschuh an das Abnehmen wagen.

Da ich mich nicht wirklich entscheiden kann, hier noch eine kleine Auswahl an stimmungsvollen Bilder mit Portugiesischen Galeeren… SORRY! ;-)

Dienstag, 31. Mai 2022 – Endlich raumer Wind!

Früh morgens gegen 5 Uhr hat der Wind soweit aufgefrischt, dass wir Segel setzen können. Endlich verstummen Motor und Piepen. Der Skipper findet doch noch ein kleines Mützchen Schlaf im Morgengrauen. Der Tag selbst verläuft recht ereignislos. Samuel schlägt sich mit quadratischen Gleichungen rum. Maila lernt für ihre bevorstehende Arbeit. Dazu noch ein paar andere Unterrichtsstunden. Zum Abendessen serviert der Skipper Spaghetti mit Thunfisch-Soße. Alltag an Bord eines Familiendampfers. Derweil nimmt der Wind langsam aber kontinuierlich zu und dreht von West auf Südwest. Das passt.

Nach der Schule gönnt man sich ein Spielpause…

Am frühen Abend begegnen wir der SY Grace (17x5m). Überhaupt erst das zweite Segelschiff seit Französisch Guyana und natürlich sind wir auf Kollisionskurs. Brav weichen wir aus und gehen hinter ihr durch. Nebenbei haben wir noch einen netten Plausch über Funk. Sie segeln auch zu den Azoren und halten sich jetzt schon süd-östlich. Wir bleiben dagegen noch eher nördlich um später abzubiegen. See you in Horta!

Einschub für Nichtsegler: In den schon angesprochenen Kollisionsverhütungsregeln ist auch definiert, wie Segelboote untereinander ausweichen müssen. Das hängt im wesentlichen an der Konstellation der Boote mit dem Wind, führt hier im Detail aber zu weit. Bei Interesse einfach mal nach KVR Regel 12 googlen. Ach ja Horta ist der unter Seglern sehr bekannte, klassische Anlaufhafen auf der Azoreninsel Faial.

Erwähnte ich schon, dass es merklich frischer geworden ist? Heute haben wir endgültig gefühlten Wintereinbruch. Unter Deck nur noch 25 Grad, im windigen Cockpit sogar noch etwas kühler. Am Tag! La Skipper kramt sich dicke Socken raus. Und schon morgen früh wird unser ansonsten kälteerprobter Samuel (der immerhin in kurzen Hosen auf dem ecuadorianischen Chimborazo in 4.850m Höhe eine Schneeballschlacht gemacht hat!) nach seiner Bettdecke fragen. Was sind wir nur für Frostbeulen geworden.

9 Kommentare zu „Atlantik Tag 15-17: Ganz schön frisch hier im Norden“

    1. Portugiesische Galeeren sind sogenannte Staatsquallen. Es handelt sich also nicht um ein eigenständiges Tier im klassischen Sinne, sondern um eine Kolonie einzelner, jedoch voneinander abhängiger Polypen. Diese haben sich jeweils auf bestimmte Aufgaben spezialisiert (Essen, Fortpflanzung, Verteidigung etc.). Echt faszinierende Wesen, allerdings auch sehr giftig. Definitiv keine Meeresbewohner, mit denen man gerne schnorchelt…
      Liebe Grüße von den Azoren,
      Micha

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