Grün ist die Hoffnung?

27. April 2022

Hin und wieder werde ich gefragt, warum wir uns für ein Aluminiumboot entschieden haben. Meine Standardantwort lautet: „Wenn ich auf dem weiten Ozean etwas treffe, habe ich lieber eine Beule als ein Loch!“. Ach ja, der Mythos des gefährlichen, weiten Ozeans. Tatsächlich ist die Chance, da draußen etwas zu treffen zwar größer Null, aber doch sehr gering. Wie gefährlich ist es dagegen doch in Küstennähe.

Wir fahren aus dem Fleuve Maroni. Es ist Ebbe. Der Strom schiebt ordentlich. Wir machen über 8 Knoten über Grund. Doch der Strom schiebt nicht nur von hinten. Manchmal gibt es auch eine gewisse seitliche Komponente. Ich berücksichtige das, indem wir ordentlich „vorhalten“. Mit anderen Worten steuere ich nicht direkt auf unserem Kurs im Fahrwasser, sondern ziele daneben. Die Kombination aus vermeintlich falschem Kurs und gegenlaufendem Seitenversatz hält uns auf Kurs. So die Theorie.

Fahrwassertonne M10

Ich sitze oben im Cockpit und lese gerade noch die letzten Worte eines PM-Artikels. La Skipper sitzt hinten, hat ein Hörbuch auf den Ohren und schaut verträumt nach vorne. Eigentlich alles entspannt. Doch dann ein panischer Schrei. Ich schrecke auf. In dem Moment rammen wir die grüne Fahrwassertonne M6. Mit über 8kn erwischen wir sie mit der vorderen Backbordseite. Sch…!!! Das ist jetzt doch nicht wahr. Wie große ist die Chance dafür? Wenigstens treffen wir sie nicht frontal. Ein weiterer Stoß mittschiffs. Nichts verhakt sich. Salinge und Bimini. Wir drücken die Tonne weit genug von uns weg. Sie zieht vorbei und bleibt buchstäblich im Kielwasser achteraus.

Durchatmen. Lage prüfen. Ich gehe nach vorne und begutachte den Rumpf der Samai. Kein Loch, aber eine Beule. Ausgerechnet rund um das Fenster der Vorschiffskabine ist es eingedrückt. Auch von innen sind einige „Verschiebungen“ zu bemerken. Doch die Versiegelung hält alles dicht. Da fällt die kleine Delle weiter hinten schon gar nicht mehr auf. Also wenn wir die grüne Farbe abbekommen und man nicht ganz genau hinschaut, dann bemerkt man es im Grunde gar nicht. Zumindest reden wir uns das ein.

Fahrwassertonne M2

Tja, wenn Nachlässigkeit auf Tonne trifft. Nicht schön. Vor zwei Jahren wäre ich vermutlich noch durchgerastet. Aber das habe ich mir inzwischen abgewöhnt. Es ist passiert. Das ist nicht schön. Doch es ist ausschließlich an mir, eine Wiederholung zu vermeiden. Skipper ist schließlich immer schuld. Insofern sollte ich die grüne Farbe vielleicht sogar dran lassen. Als Erinnerung an unser stabiles Schiff, Warnung vor zu viel Gelassenheit und natürlich auch als Zeichen der Hoffnung…

Ankern im Dschungel

25. – 27. April 2022

Zwischen der Mündung des Maroni und Saint-Laurent-du-Maroni bietet sich Seglern die seltene Gelegenheit, mitten im Dschungel zu ankern. Drei größere Seitenflüsse führen in den Urwald. Verbunden durch kleine Nebenarme kann man ganz nach Belieben ein Halbtagestour machen oder auch länger bleiben. Wer uns kennt weiß, dass wir uns für letzteres entscheiden. Wobei natürlich auch der Realität entspricht, dass wir hier zwar schon im Dschungel sind, dieser sich jetzt aber nicht endlos in alle Richtungen erstreckt. Schon einige Kilometer weiter weist die Karte eine Straße aus. Trotzdem ist es schon etwas ganz besonderes, den eigenen Mast zwischen teils eng stehenden Bäumen hindurch zu manövrieren.

Auch wenn wir später als geplant loskommen, ist das nicht allzu schlimm. Schon 5sm nördlich unserer Mooring verlassen wir den breiten Grenzfluss Maroni und biegen in den Crique Lamentin. Jetzt wird es spannend. Natürlich gibt es auf den Karten keine Tiefenangaben in den Nebenflüssen. Doch TO-Stützpunktleiter Davide versichert uns, dass es überall tief genug sei. Lediglich an einer Stelle hat es nur gut 2m. Wir haben jedoch immer mindestens knapp 4m unter dem Lot.

Es ist schon recht spät und der RCCPF-Cruising Guide empfiehlt einen lauschigen kleinen Nebenarm. Jetzt nicht zum ankern, aber es wäre doch gelacht, wenn wir da nicht ein Plätzchen für die Nacht finden würden. So ist es dann auch. Bei einem kleinen Zufluss wird es etwas breiter, ein Bereich mit etwa 70m im Durchmesser. Doch erst einmal fahren wir noch etwas weiter rein in den engen Nebenarm. Da kann es schon mal passieren, dass etwas Grünzeug (mit Spinnen) an Bord kommt…

Wieder zurück am Ankerplatz werfen wir unter der Berücksichtigung der Strömungen Anker (05°32,92‘N / 053°59,10‘W). Motor aus. Ruhe. Also fast. Das Zirpen der Grillen, Zwitschern der Vögel und leichter im Blätterdach rauschender Wind umgeben uns. Es ist einfach traumhaft.

Nach einer ruhigen, erholsamen Nacht begrüßt uns die Sonne in idyllischer schöner Natur. Ein toller Ankerplatz!

Dann geht unsere kleine Dschungeltour weiter. Über den schmaler werdenden Fluss erreichen wir den breiten Crique Vaches. Wenig später biegen wir wieder in einen schmalen Nebenarm, der sich durch die Landschaft schlängelt.

Schließlich erreichen wir den nördlichen Crique Coswine. Hier sind zwei Ankerplätze empfohlen, die uns in dem breiten Fluss aber viel zu offen sind. Wir fahren noch etwas weiter und finden einen weiteren Nebenarm. Hier sieht es schon viel lauschiger aus. Auf 5m bombenfest haltendem Lehm fällt der Anker (05°38,88‘N / 053°54,54‘W).

Noch ein entspannter Abend…

Wieder verbringen wir einen idyllischen Abend und eine ruhige Nacht. Ja, es gibt Moskitos, aber ehrlich gesagt hätten wir mit mehr gerechnet. Eine Nacht mit weniger als fünf Stichen ist ohnehin eine gute Nacht.

Noch ein wunderschöner Morgen :-)

Wir würden eigentlich gerne noch ein paar Tage im Dschungel bleiben. Noch mehr Vögel beobachten. Vielleicht auch mal die Angel auswerfen. Doch wir haben ein sich schließendes Wetterfenster für die Weiterfahrt Richtung Kourou. Uns bleibt keine Wahl. Mit der morgendlichen Ebbe fahren wird flussabwärts und passieren das amerindische Dorf Ayawandé.

Ayawandé am Crique Coswine

Kurz danach öffnet sich wieder der breite Maroni vor uns. Ausgerechnet an der Mündung zu diesem breitesten der Seitenarme fahren wir über eine Barre mit der geringsten Tiefe unserer kleinen Tour. Ein wirklich lohnenswerter Umweg. Wo kann man schon mit dem eigenen Boot im Dschungel ankern?

Der große Fleuve Maroni öffnet sich voraus.

Übersicht unserer kleine Dschungeltour:

  • Erster Abend von Süden kommend in den unteren Crique Lamentin zum südlichen Ankerplatz im Nebenarm (rot).
  • Zweiter Tag weiter in den mittleren Crique Vaches und durch Nebenarme in den oberen Crique Coswine bis zum nördlichen Ankerplatz (violett).
  • Dritter Morgen flussabwärts den Crique Coswine vorbei an Ayawandé zurück in den großen Fleuve Maroni (rot).

Atlantik Tag 12-14: Wind kommt auf…

Wie versprochen, berichten wir am Wochenende ganz aktuell von unserer gerade stattfindenden Atlantiküberquerung.

Donnerstag, 26. Mai 2022 – Alleine auf dem Atlantik

Nach einer ausgesprochen ruhigen Nacht unter Motor empfängt uns ein sonniger Morgen. Weit und breit nichts zu sehen außer Himmel, Sonne, Wolken und Meer. Da kann man sich schon alleine fühlen. Das sind wir wohl auch. Der letzte AIS-Kontakt ist zwei Tage her. Wobei wir aber hin und wieder mal den Kondensstreifen der Zivilisation am Himmel sehen. Leider sehen wir selbst hier auf dem offenen Ozean auch immer wieder andere zivilisatorische Anzeichen umherschwimmen: Müll! :-(

Und das, obwohl das naechste Land ziemlich weit weg ist. Die Karibik liegt ca. 800sm / 1.500km hinter uns, Bermuda ebenso weit weg links von uns. Die Azoren liegen ca. 1.300sm / 2.400km vor uns, die Kap Verden noch weiter weg rechts von uns. Und mitten drin zieht eine Familie auf der Samai ihre Bahn…

Auch die Tierwelt hält sich dezent zurück. Nur ein einziges Mal haben wir bisher die Rückenflossen zweier Delfine gesehen. Sie waren schnell verschwunden. Wale? Fehlanzeige. Fische? Ebenso. Wobei das mit dem Angeln hier aber auch schwierig ist. Einerseits schwimmt immer wieder mal mehr und mal weniger von diesem hellbraunen Kraut umher. Davon fangen wir reichlich. Es nervt aber schon, spätestens alle 10 Minuten die Angel einzuholen, um den Haken von Bewuchs zu befreien. Andererseits sind da dann noch unsere einzigen regelmäßigen Besucher: Vögel. Vor allem Sturmtaucher tummeln sich öfters um die Samai und auch den Angelköder herum. Doch davon möchte Samuel lieber selbst noch ausführlich erzählen. Immerhin hat er in der letzten Woche schon weit über tausend (sic!) Vogelfotos geschossen und sitzt bereits jetzt am Auswahlverfahren.

Auch der Wind hält sich dezent zurück. Immerhin zweieinhalb Stunden können wir heute segeln und schaffen dabei gerade mal 7sm. Ansonsten brummt der Motor. Das passt allerdings zur letzten Vorhersage. Demnach werden wir auch morgen noch vor allem wahlweise mit der eisernen Genua bzw. dem Flautenschieber Meilen machen müssen. Immerhin halten wir dabei direkt auf die Azoren zu.

Gegen Mitternacht taucht dann doch mal wieder ein AIS-Signal auf. Der 200m-Frachter Federal Franklin geht gut 15sm hinter uns durch. So ganz alleine sind wir anscheinend doch nicht.

Freitag, 27. Mai 2022 – Vom Wannsee-Feeling in die Schräglage

Der Morgen empfängt uns mit Pottenflaute und öligem Wasser. So nennen wir das, wenn nicht das kleinste Kräuselchen auf dem Wasser spielt, sondern sich das Meer wie eine leicht wellige Klarsichtfolie präsentiert. Immer wieder faszinierend. Schließlich sind wir hier ja mitten auf einem Ozean und nicht am Berliner Wannsee. Doch in den Doldrums ist das gar nicht mal soooo ungewöhnlich. Uns bleibt nichts weiter übrig, als das Früstück zum sonoren Hintergrundbrummen des Motors zu nehmen.

Pottenflaute…

Dann ist da auch noch die Sache mit den Zeitzonen. Die Universal Time Coordinated = UTC (früher bzw. heute noch in England Greenwich Time) ist der Ausgangspunkt. Wir sind in Französisch Guyana bei UTC-3 gestartet. Eine Sommerzeit gibt es in den Tropen nicht. Deutschland liegt normaler Weise bei UTC+1, Im Sommer jedoch bei UTC+2. Wir sind also fünf Stunden hinterher. Die Azoren haben UTC-1, bzw. im Sommer UTC-Zeit. Unser Ziel ist uns drei Stunden voraus. Auf dem Weg dorthin müssen wir also dreimal die Uhr um eine Stunde vorstellen. Bevorzugt natürlich, wenn wir in West-Ost-Richtung Meilen machen. Aber wie und wann die Sommerzeit berücksichtigen?

Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, das anhand des Sonnenaufgangs zu machen. Auf den Azoren geht sie nach lokaler Zeit um 6:30 Uhr auf. Bei uns war es heute 5:30 Uhr. Ergo: erste Zeitumstellung an Bord der Samai.

Bordzeit 16 Uhr (UTC-2): Wind kommt auf. Die Segel beginnen sich zu blähen. Die Samai segelt schneller und schneller Einige Eltern unter unseren Leser haben es vielleicht erkannt. Diese Einleitung ist von der Kinderbuchreihe Das magische Baumhaus inspiriert. Wer diese mit altersmäßig passendem Nachwuchs im Haus nicht kennt, sollte ruhig mal einen Blick rein werfen unserer Meinung nach lohnt es sich!

Die Nacht beschert uns traumhaftes Segeln. Im wahrsten Sinn des Wortes! Während die Samai durch zunehmende Wellenberge pflügt, schlummert die Crew mehr oder weniger fest in ihren Kojen und gibt sich der Traumwelt hin. Selbst der Skipper auf Nachtwache schafft es in seinen Nickerchen für den einen oder anderen kurzen Abstecher bis ins Reich der Träume vorzudringen. Traumhaftes Segeln halt. ;-)

Oder vielleicht auch nicht. Anfangs segeln mit mit Vollzeug bei 4Bft. am Wind Richtung Norden. Das ist zwar nicht die Richtung, in der die Azoren liegen, aber einen besseren Kurs gibt der Wind nicht her. Im Laufe der Nacht nimmt er noch zu. Kurz vor 2 Uhr verkleinere ich das Großsegel ins erste Reff. Kurz nach 4 Uhr nehme ich es sogar ins zweite Reff. Der Wind liegt inzwischen bei konstant 5Bft. und kratzt unter dunklen Wolken auch schon mal an der 6 wahre Windgeschwindigkeit. Wir segeln mal wieder am Wind und damit scheinbar ohnehin dauerhaft mit gut 6 Bft.

Verlust des Tages: Die Toilettentür ist in den Atlantikwellen der letzten Tage wohl das ein oder andere Mal zu oft zugeknallt. Passiert halt. Aber muss deswegen denn gleich der Schließmechanismus nicht mehr funktionieren? Die Falle (den Begriff musste ich selbst nachschlagen ;-) bleibt schlicht im Türschloss verschwunden. Ich vermute mal, dass die Feder gebrochen ist. Wenn dem so ist, werde ich auf den Azoren wohl das Schloss der Toilette mit der Tür der Achterkabine tauschen. Bis dahin wird das schon gehen…

Samstag, 28. Mai 2022 – Entspannung auf See

Die unruhige Nacht hat La Skipper etwas zugesetzt. Den Vormittag genießt sie vor allem im Cockpit liegend den Ausblick auf das blaue Meer. Am Nachmittag wohnt sie die zur Liegefläche ausgebaute Couch im Salon ab. Es ist ohnehin ein eher ereignisloser Tag. Die Sonne scheint zwischen lockerer Bewölkung. Der Wind weht relativ konstant mit 3-5Bft. und dreht langsam auf Ost. Das ist wenn schon nicht perfekt, so doch besser für uns. Wir passen die Segelfläche an und konzentrieren uns mit den Kindern die Schulfächer, welche bei 2m-Wellen machbar sind. Letztlich ein ganz normaler, ja fast schon langweiliger Tag auf dem Atlantik.

Mit einer kleinen Ausnahme. Heute sehen wir abgesehen von den üblichen, gefiederten Begleitern noch ein paar andere Tiere. Alte Bekannte von vor knapp drei Jahren auf dem Atlantik. Ansonsten hätten wir sie wahrscheinlich auch nicht auf Anhieb erkannt: Portugiesische Galeeren. Unter Wasser können die Tentakel dieser Staatsquallen bis zu 50m lang werden. Über Wasser sieht man dagegen nur ein kleines, unscheinbares, oft rosa schimmerndes Segel. Faszinierende Wesen…

Abends gibt es gebratene Polenta. Das Gericht ist eine Inspiration aus dem argentinischen Ushuaia, wo es der brasilianische Segler Eduardo bei gemeinsamen Quarantäne-Abenden servierte. Dazu reicht der Skipper Würstchen im Brotteig. Ein Eigengewächs. Zusammengenommen noch so ein leckeres Essen, das auf der Samai fast immer gut geht sogar Maila mag es!

So segeln wir in die letzte Nacht der zweiten Woche auf See. Von den Meilen her haben wir schon jetzt mehr im Kielwasser, als bei unserer Atlantiküberquerung im (Nord-)Herbst 2019 von den Kap Verden nach Brasilien. Trotzdem werden wir noch gut eine weitere Woche bis zu den Azoren brauchen zumindest wenn die Winde uns gewogen sind…

Atlantik Tag 8-11: Baden und Segeln in den Doldrums

Wie versprochen, berichten wir am Wochenende ganz aktuell von unserer gerade stattfindenden Atlantiküberquerung.

Sonntag, 22. Mai 2022 – Kollisionskurs auf dem Weg in die Doldrums

Die Nacht verläuft solange ruhig, bis die Crystal Angel auf dem AIS erscheint. Da sieht man nach Tagen mal wieder ein anderes Schiff und natürlich ist es auf direktem Kollisionskurs. Typisch! Ebenso erfreulich ist, dass der Tanker rechtzeitig seinen Kurs ändert um gut eine Seemeile hinter uns durchzufahren. Vorbildlich!

Kurzer Einschub für Nichtsegler: Vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere, warum ein 230m-Tanker so einem kleinen 12m-Segelboot wie uns ausweicht. Die Antwort findet sich in den international gültigen Kollisionsverhütungsregen. Darin wird unter vielem Anderen geregelt, wie sich zwei begegnende Boote verhalten sollen. Nein, da steht nichts von Vorfahrt. Das ist der deutschen Seeschifffahrtstraßenverordnung vorbehalten. International gibt es entweder die Pflicht, Kurs und Geschwindigkeit beizubehalten oder die Pflicht auszuweichen.

Was die Schiffstypen angeht, gibt es eine gewisse Rangfolge. Zum Beispiel müssen (vereinfacht gesagt) alle anderen Schiffe Fischern (bei der Arbeit) ausweichen. Das letztere es beim Fischen mit dem Kurshalten nicht so genau nehmen, ist wenig verwunderlich und allgemein bekannt. Treffen ein Motorboot und ein Segelboot (unter Segeln!) aufeinander, so muss das Motorboot ausweichen. Und die Samai ist aktuell nun mal ein Segelboot und ein Tanker ist unbestritten ein Motorboot. Darum ist er uns ausgewichen.

Guten Morgen…

Der Wetterbericht ist so la-la. Klar ist, dass der Wind weiter nachlassen wird. Das ist auch wenig verwunderlich, schließlich kommen wir so langsam die die Breiten der Doldrums.

Kurzer Einschub für Nichtsegler: Wir würden echt gerne direkt von Südamerika zu den Azoren segeln. Geht aber nicht. Rund um den Äquator weht der Passatwind beständig aus (hier aktuell nord-)östlicher Richtung. Darum segeln wir auch gerade eher nach Norden. Weiter oben haben wir die auch für das Wetter in Europa maßgebliche Westwindzone. Spätestens dort werden wir Richtung Osten abbiegen. Und dazwischen? Tja, da sind die Doldrums. Mal breiter, mal schmaler ist das ein Bereich mit wenig bis gar keinem Wind. Für Segler ein Albtraum. Und da müssen wir irgendwie durch…

Früher konnten die Doldrums für Segelboote eine echte Gefahr darstellen, wenn diese tagelang bei Flaute vor sich hindümpelten. Heute kann man natürlich auch noch warten und dümpeln. Alternativ wirft man den Motor an. Wir bevorzugen, auch im Sinne unserer immer noch aufzufüllenden Wasservorräte, meist letzteres.

Verlust des Tages: Am Nachmittag werfe ich einen Blick in unsere Nudelvorräte. Manch einer mag denken: Na was soll da schon sein?. Segler-Antwort: Kleine schwarze Krabbeldinger. Bei Pappkartons mag das ja noch hinkommen, aber in Plastikverpackungen? Keine Ahnung, wie die da rein kommen. Muss wohl schon bei der Produktion passiert sein. Uns kostet das heute fünf Fusilli-Packungen. Auch zwei große Spaghetti-Packungen sehen nicht so gut aus und werden folgerichtig gleich mal gekocht. 2kg Nudeln. Der Speiseplan der nächsten Tage steht.

Montag, 23. Mai 2022 – Badepause, Bootsarbeiten und kein Fisch

Allmählich beginnt das unschöne Spiel mit dem fehlenden Wind. Wir motoren durch die Nacht mit direktem Kurs Richtung Azoren. Der neue Wetterbericht am Morgen lässt uns nach Norden abbiegen. Auf der Suche nach wenigstens etwas Wind in der vorhergesagt großen Flaute.

Der große Swimmingpool lockt…

Eigentlich der perfekte Zeitpunkt für eine Badepause. Gut eine Stunde lassen wir uns treiben und springen in den tiefblauen Atlantik. Unter uns sind etwa 5km Wasser. Das nenne ich mal ein tiefes Schwimmbad. Anschließend hauen wir einiges von dem gerade frisch gemachten Wasser raus und duschen uns alle mal wieder so richtig sauber. Wurde auch langsam Zeit.

Badepause auf 5km Wassertiefe
Ist da auch nichts unter uns?

Ansonsten nutze ich die Ruhe für ein paar Kleinigkeiten an Bord. Ich lege endlich die Bilge trocken und wechsle den Filter vom Wassermacher. Auch das hat der sich inzwischen hochverdient. Danach kümmern wir uns um die Großschot. Die hat im Laufe der Zeit ordentlich Twist bekommen und verdreht nun immer mal wieder die Leinenführung unter dem Segel. Nichts, was man nicht rausdrehen könnte. Schließlich klariere ich noch die beidseits vom Cockpit nach vorne führenden Strecktaue. Daran kann man sich bei unruhigem Wetter und nachts einpicken um nicht über Bord zu gehen. Leider war ich beim letzten Mal Einfädeln der Vorsegelleinen etwas unaufmerksam. Die Schoten lagen einer lückenlose Nutzung der Strecktaue im Weg. Das ist nun auch wieder in Ordnung.

Der rechte Filter hat sich den Ruhestand verdient.

Am Nachmittag meldet sich die Angel. Sie biegt sich richtig durch. Offensichtlich ein großes Ding am Haken. Samuel eilt hin und versucht den Fang einzuholen. Leider vergeblich. Später schwört er Stein und Bein, dabei eine Hai-ähnliche Rückenflosse gesehen zu haben. Vielleicht ganz gut, dass er entwischt ist?! So essen wir unseren improvisierten Nudelauflauf aus der Pfanne vegetarisch.

Immerhin können wir heute noch ganze acht Stunden segeln. Trotz angesagter Flaute. Am Ende bekommen wir unter einer dunklen Wolke sogar gut 5 Bft. ins Segel gepustet. Danach geht es jedoch innerhalb von 10min auf 5kn runter. Segel rein. Entspannt motoren wir durch den Rest der Nacht.

Dienstag, 24. Mai 2022 – Raus aus den Tropen

Schon vor Sonnenaufgang sehe ich eine Ansammlung von AIS-Signalen. Ein Schiff mit offensichtlich ostasiatischem Namen und seine fünf Bojen. Ein Fischer bei der Arbeit. Aber lassen wir uns das in Ruhe auf den Zeilen zergehen. Ein chinesisches Fischerboot von 45x8m setzt im Atlantik gut 500sm nordöstlich der Karibik auf einer Länge von fast 15sm (für Ostseekenner zum Vergleich: Kühlungsborn-Rostock sind ca. 12sm!) seine Bojen aus und fischt das Meer leer?! Internationale Gewässer. Keiner ist zuständig. Jeder darf (fast) alles. Perfekter Ort für das perfekte Verbrechen. Ideal auch für opportunistisches Verhalten. Und letzteres ist meiner bescheidenen Meinung nach Hauptgrund dafür, dass die Welt allmählich vor die Hunde geht. :-(

Chinesischer Fischer mit seinen Bojen

Ebenfalls kurz vor Sonnenaufgang queren wir auf 23°26N den nördlichen Wendekreis des Krebses. Auf diesem Breitengrad steht einmal im Jahr, genau zur nördlichen Sommersonnenwende unser Zentralgestirn im Zenit. Und offiziell bezeichnen die Wendekreise zugleich das Ende der Tropen. Mehr als ein Jahr und vier Monaten nachdem wir vor Chile den südlichen Wendekreis gequert haben, erreichen wir wieder gemäßigte Breiten.

Morgens mache ich spontan einen Nudelsalat. Das ist immer gut für ein kleines Hüngerchen zwischendurch. Wie es der Zufall so will, habe ich da noch ein paar Spaghetti im Kühlschrank gefunden… ;-) Abends gibt es zur Abwechslung dagegen mal Reis mit Zwiebel-Pilz-Pfanne.

Wir werden langsamer. Motor und Segel halten sich heute zeitlich so in etwa die Waage. Über Mittag füllen wir unseren gesamten Vorrat an Wasserflaschen auf. Am Nachmittag genießen wir bei strahlenden Sonnenschein und teilweise nur 2-3 Bft. entspanntes Dümpel-Cruisen unter Segeln. Wenigstens scheint die Sonne. Abends nochmal Motor an, den Großteil der Nacht können wir aber, wenn schon nicht rasend schnell, so doch entspannt segeln.

Mittwoch, 25. Mai 2022 – Kurs Azoren… noch!

Beständiger Wind wäre schön. Ist hier aber nicht. Am Vormittag müssen wir wieder den Motor anwerfen. Der Wassermacher drängt die letzte Luft aus dem Wassertank. Zumindest kann die Fock als Unterstützung stehen bleiben. Und zumindest fahren wir (fast) direkten Kurs auf die Azoren im Nordosten von uns. Luftlinie sind es kein 1.500sm mehr. Seit Französisch-Guyana haben wir fast 1.300sm im Kielwasser gelassen. Kurz vor der Halbzeit? Wohl kaum.

Der aktuelle Wetterbericht stimmt nicht optimistisch. Erst Flaute, dann Nordost-Wind auf die Nase, der auf Ost dreht. Damit sollten wir Richtung Norden segeln können. Direkt auf das Zentrum des zugehörigen großen Hochdruckgebietes. Danach dreht der Wind dann auf Nord, was wir mit einem Ostkurs kontern müssten. Nächste Woche kommt es dann ganz dicke von Norden runter, so dass wir uns besser südlich der Azoren halten sollten. Also wie denn nun Zick-Zack zum Ziel?!

Allerdings ist das alles natürlich mit einem großen Vorbehalt zu sehen. Gerade in dieser Gegend ist die Halbwertszeit eines Wetterberichts erschreckend kurz und einer Vorhersage der kommenden Woche in der Regel kaum mehr Wert beizumessen, als dem berühmten Blick in die Kristallkugel. Insofern hoffen wir trotz der wenig erfreulichen Grundtendenz auf das Beste.

Abends wird es Zeit, sich endlich mal um die letzten Spaghettireste zu kümmern mit Pesto für die Mädels gebraten für die Jungs das geht immer!

Camp de la Transportation (oder Papillon zum Ersten)

17. April 2022

Das Camp de la Transportation liegt direkt am Ufer des Maroni. Von unserer Mooring schauen wir auf die hinter der Außenmauer emporragenden Gebäude. Der Eingang liegt nur gut 100m vom Dinghy-Steg entfernt. Erst 1995 als historisches Denkmal eingestuft, beherbergt das ehemalige Camp heute unter anderem ein Museum. Normalerweise werden Führungen auf Französisch angeboten. Doch vor der ersten offiziellen Tour am Ostersonntag hat der zweisprachige Guide noch Zeit. So kommen wir in den Genuss einer englischsprachigen Privatführung.

Das Camp ist 235m lang und 120m breit. Hinter dem Eingangstor empfangen uns beidseits die ehemaligen Verwaltungsgebäude. Rechtehand duckt sich ein besonders zwiespältiges Gebäude an die Außenmauer. Einerseits Küche und Kapelle für sonntägliche Gottesdienste befindet sich hier auch der Bereich, in dem die Gefängnisärzte anthropologische Studien zur Identifizierung krimineller Profile durchführen. Dahinter sehen wir eine der „Wäschereien“. Hier durften die Gefangenen einmal im Monat(!) ihre Kleidung reinigen. Mit Wasser und ohne Seife.

Verwaltungsgebäude
Wäscherei sowie Kirche-„Kriminalitätsforschung“-Küche

Den Großteil des allgemein zugänglichen Bereichs nehmen 12 teils doppelstöckige Gebäude ein. Früher schlafen in jeder Etage offiziell 50 Häftlinge. Aus den rechnerisch 900 Plätzen werden in der Realität jedoch bis zu 1.500! Heute sind die Gebäude für unterschiedliche Zwecke genutzt.

Ein knappes Drittel des Camp umfasst den nur mit Guide zugänglichen Bereich der „disziplinarischen Quartiere“. Durch die Kleiderausgabe gehen wir direkt auf die Tore des 1889 eingerichteten Gefängnisgerichts. Hier werden insbesondere gefängnisinterne Straftaten und die Fälle wieder straffällig gewordener Freigelassener verhandelt. Alle 2-3 Monate erwarten etwa 20 Häftlinge ihre Strafe. Üblich sind ab 6 Monate bis zu 5 Jahre Einzel- oder Isolationshaft. Das beinhaltet auch Dunkel- oder Offenhaft auf den Îles de Salut (Saint-Joseph). Ersteres ist selbsterklärend. Bei letzteren ist die Einzelzelle oben offen und der Insasse somit direkt tropischer Sonne und Regen ausgesetzt. Und natürlich werden auch direkt durch die Guillotine vollstreckte Todesurteile gefällt.

Original Lore… u.a. zum sträflingsbetriebenen Wächtertransport

Auf der einen Seite finden sich spezielle Quartiere für besonders harte Fälle sowie Rückfällige. Je nach Fall ist man in Gruppenräumen oder Einzelhaft untergebracht.

Auf der anderen Seite betreten wir den Disziplinarabereich. Ein Hof des Grauens. Vier Blockhäuser empfangen uns. In der Mitte ein Gang, rechts und links Steinpritschen, ein kleines Klo. Sie bieten offiziell Platz für jeweils 40 Männer. Tatsächlich werden oft doppelt so viele hinein gepfercht. Je nach Strafe sind sie bis zu 22 Stunden am Tag an den Knöcheln fixiert. Nachts werden die Fenster geschlossen. Drei Monate hier drin sind Minimum.

Nummer 1 von 4
Ausgelegt für 40…
… belegt mit bis zu 80 Sträflingen.

Dahinter öffnet sich der Hof etwas. Große Mangobäume spenden heute Schatten. Damals ist alles ein offener Sandplatz.

Erster Hof

Zwölf Zellen stehen exklusiv den zum Tode Verurteilten zur Verfügung. Am Vortag der Exekution wird die Guillotine aufgebaut. In dessen Angesicht gibt es noch eine Henkersmahlzeit, einen Liter Wein, ein Glas Rum und eine Zigarette. Dann werden Entlassungspapiere unterschrieben. Schließlich dürfen Häftlinge offiziell nicht hingerichtet werden. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass etwas schief geht, ist der Delinquent danach frei. Das ist jedoch niemals passiert.

Todeszellen
Der Guide demonstriert die Guillotine
Nach einer blutigen Hinrichtung färbte sich das Brunnenwasser schon mal rötlich

Ein weiterer Block mit 20 Zellen ist für die Häftlinge reserviert, die auf ihre Deportation auf die Îles du Salut (aka Teufelsinseln) warten.

Warten auf die Weiterfahrt…
Nachbau für eine Dokumentation
Originale Ritzzeichnung

Dahinter sind in einem zweiten Hof schließlich noch weitere Quartiere mit Einzelzellen für „spezielle Fälle“.

Hier ist auch Zelle Nummer 47. Auf dem Boden hat einer der bekanntesten Insassen des Gefängnisses seinen Spitznamen eingeritzt: Papillon.