Reiches Costa Rica

Ich habe ja schon ein paar Zeilen dazu geschrieben, dass Costa Rica auch die „Schweiz Zentralamerikas“ genannt wird, als eines der fortschrittlichsten Länder Lateinamerikas gilt und in vielen Bereichen überraschend teuer ist. Doch woher kommt das? Woher hat das Land diesen Ruf und warum steht dieses Land heute so selbstbewusst da? Meiner bescheidenen Meinung nach sind drei Aspekte hervorzuheben:

1. Mangelndes Interesse der spanischen Kolonialherren (16./17. Jahrhundert)

2. Auflösung der Armee (1948/49)

3. Strikte Neutralität (1983)

Schauen wir in die Geschichte. Wie fast überall in Lateinamerika bildet die Ankunft der Spanier eine Zäsur. Schon 1502 erreicht Christoph Kolumbus die „reiche Küste“ (= Costa Rica). Doch ganz so reich ist sie zu dieser Zeit wohl doch nicht. Keine 50 Jahre später haben die Spanier das Land vorübergehend wieder verlassen. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beginnt eine systematische Kolonialisierung. Ein „Glanzstück“ im spanischen Kolonialreich wird Costa Rica jedoch nie. Zu weit entfernt von wichtigen Wirtschafts- und Verwaltungszentren, Rohstoffarmut, allgemein geringe wirtschaftliche Bedeutung und nicht zuletzt „dank“ der Pocken und Tuberkulose vergleichsweise wenige indigene Arbeitskräfte resultieren in einer der ärmsten Kolonien Amerikas. Insbesondere das Schicksal der indigenen Bevölkerung ist natürlich eine menschliche Katastrophe. Andererseits sorgt es für Angleichung. Die Eroberer müssen selbst auf den Feldern arbeiten. Es bildet sich (z.B. im Gegensatz zu Ecuador) keine nennenswerte, von den Spaniern unterdrückte Mestizen-/Mischlingsklasse heraus. Damit fehlt heute die Grundlagen sozialer Spannungen, wie sie sich in anderen Ländern Lateinamerikas finden. Und das mit der damaligen Armut des Landes einhergehende Desinteresse der spanische Kolonialherren ist wohl auch ein Grund für den heutigen Reichtum?!

Am 15. September 1821 erklärt Costa Rica seine Unabhängigkeit. Es folgt eine wechselhafte, nicht immer glorreiche Geschichte. Einerseits geprägt von Kaffeebaronen und (erstaunlich gewaltfreien) autoritären Regimen. Andererseits mit Abschaffung der Todesstrafe und Einführung einer staatlich bezahlten Schulpflicht schon im 19. Jahrhundert. Im Hinterhof des großen Nachbarn USA gelegen, nimmt dieser zunehmend Einfluss, der 1941 zu einem Kriegseintritt als erstes zentralamerikanisches Land führt.

Das Jahr 1948 ist geprägt von einem kurzen Bürgerkrieg (natürlich nicht ohne US-Einmischung). Dabei zeigt sich eine fast schon traditionelle Schwäche der eigenen Armee, die daraufhin konsequenter Weise abgeschafft wird. Eine wichtige Entscheidung! Das freigewordene Geld fließt in Bildungs- und Gesundheitsprogramme. Wohl auch ein Grund dafür, dass dem Land das Schicksal vieler anderer lateinamerikanischer Länder im ausgehenden 20. Jahrhundert erspart bleibt: Diktatur. Ohne Militär kann man sich nur schwer an die Macht putschen. Seit den 1950er Jahren handelt es sich um eine stabile Demokratie.

Im Jahr 1983 erklärt Costa Rica schließlich seine „dauerhafte und aktive, unbewaffnete Neutralität“. Aus den (bürger-)kriegerischen Aktivitäten seiner Nachbarn hält man sich konsequent raus. Vor allem daher rührt der Vergleich mit der Schweiz. Die ähnlich hohen Preise sind eher Beiwerk. Und in einem ist Costa Rica seinem europäischen Pendant sogar voraus. Das Frauenwahlrecht wurde schon 1949 eingeführt… nicht erst ab 1971 (bzw. 1990 im letzten Kanton).

Das Land geht durch Wirtschaftskrise und harten Sparkurs. Wechselnde Regierungen etablieren einen Sozialstaat mit vorbildlichem Bildungssystem. Die Analphabetenrate ist eine der niedrigsten in Lateinamerika. Das 2007 beschlossene US-Freihandelsabkommen ist vor dem Hintergrund einer negativen Handelsbilanz nicht unumstritten. Doch es geht beständig aufwärts in Costa Rica. Dauerhafter Frieden und zunehmender Wohlstand prägen das Land.

In vielen Punkte ist Costa Rica heute ein Vorreiter. Nicht nur in der Region, sondern weltweit. Natürlich gibt es auch hier Umweltsünden. In den 1980‘er Jahren sind etwa 80% der Regenwaldfläche gerodet. Heute haben Klima-, Natur- und Waldschutz einen hohen Stellenwert. Inzwischen sind wieder 50% des Landes von Wald bewachsen und 27% der Landesfläche stehen unter Naturschutz. Neben dem „normalen Tourismus“ als traditionell wichtigen Devisenbringer (auf ca. 5 Mio. Einwohner kommen jährlich ca. 2 Mio. Touristen!) setzt man konsequenter Weise zunehmend auf Ökotourismus.

Anfang der 2000‘er Jahre geht das Land mit der „Initiative Frieden mit der Natur“ noch einen Schritt weiter. Man wolle als erstes Land der Erde eine ausgeglichene CO2-Bilanz aufweisen. Heute wird fast die gesamte Energieversorgung aus regenerativen Quellen gedeckt (etwa zu zwei Dritteln aus Wasserkraftwerken). Über die (zumindest offiziell) penible Mülltrennung habe ich schon an anderer Stelle berichtet.

Kurz und gut: Costa Rica steht gerade im Vergleich zu seinen lateinamerikanischen Nachbarn ausgesprochen gut da und ist sich dessen voll und ganz bewusst. Die Einwohner sind offen gelebt stolz auf ihr Land, seine Errungenschaften, den natürlichen Reichtum und zählen laut Umfrage gar zu den glücklichsten Menschen auf der Erde. Reiches Costa Rica.

So noch nicht gesehen: Zäh gepellte Würstchen

Mittelamerika, Mai/Juni 2021

Schon klar, die Pelle einer Weißwurs(ch)t kann man nicht mitessen. Pulen oder zuzeln… tertium non datur. Aber in Frankfurter, bzw. Wiener, bzw. sonstige Würstchen kann man zumindest in Deutschland beherzt reinbeißen. Hier nicht.

Erstmals fällt es uns beim Grillen auf. Die frischen Chorizo sehen lecker aus und riechen gut. Allerdings schneiden sie sich etwas zäh. Beim ersten Bissen im Mund wird auch klar warum. Diese Pelle ist ganz offensichtlich nicht zum Verzehr geeignet. „Mit Darm oder ohne Darm?“. Am Berliner Imbiss gleichbedeutend mit „Hast Du noch eigene Zähne?“, geht es hier schlicht um elementare Genießbarkeit. Und nein, eine Chorizo vom Grill kann man nicht im Guten zuzeln!

Nun gut, das haben wir gelernt und darauf achten wir jetzt. Nächstes Mal gibt es ohnehin Hot Dog Würstchen. Da haben wir zwar auch schon interessante Variationen gesehen und gekostet. Ich sage mal so… wenn die Pelle einen Werbeaufdruck ziert, ist sie mutmaßlich nicht essbar. Diese Würstchen sehen aber aus, wie zu Hause. Doch wer (bevorzugt spanisch) lesen kann, ist klar im Vorteil.

So fällt es uns erst wieder beim ersten Bissen auf, dass die Pelle nicht viel mehr ist, als eine weitere ungenießbare Hülle. Im erhitzten Zustand ist das Abpellen wenig appetitlich. Da schon lieber gleich nach Öffnen der Verpackung ans Werk gegangen.

Handarbeit

Nun ähneln sie nicht nur geschmacklich sondern insbesondere in der Konsistenz viel mehr dem, was wir schon so oft gehen haben: zart gepellte Würstchen.

Alltagsprobleme in tropischen Breiten: Regenzeit

Eine Zeit mit überdurchschnittlicher Niederschlagsmenge also. Klingt eigentlich nicht weiter schlimm. Zumal dieser Niederschlag in der Regel mit durchaus angenehmen Temperaturen einhergeht. Und doch ist das nicht die ganze Geschichte. Wir genießen ja nun schon seit mehreren Wochen Regenzeit in Äquatornähe. In einigen Berichten klang das auch schon am Rande mal an. Trotzdem nochmal eine kurze Zusammenfassung aus Sicht der Samai an der ostpazifischen Küste Mittelamerikas.

So richtig los geht es auf dem Weg von Ecuador nach Costa Rica. Wetterleuchten ist für einen Segler nicht unbekannt. Immer mal wieder sieht man die Wolken durch darin zuckende Blitze erstrahlen. Aber so wie hier haben wir das vorher noch nicht gesehen. Es ist ein sich allnächtlich wiederholendes Schauspiel. Meist weit weg, manchmal aber auch recht dicht bei oder gar direkt auf dem Weg. Und wenn dann noch ein Blitz unter der sich mächtig auftürmenden Wolke den ach so schmal erscheinenden Spalt zum Meer überbrückt, denkt der verantwortungsvolle Skipper schon mal über einen Kurswechsel nach. Und ja, wir haben auf unseren Passagen hier wirklich JEDE Nacht dieses Naturschauspiel in mehreren Akten genießen dürfen.

In Costa Rica als auch Panama vor Anker (z.B. in der Drake Bay) oder in der Marina liegend ist das kaum anders. Nur verschiebt sich das Timing in Küstennähe ein wenig. Der Vormittag ist normaler Weise trocken. Oft sogar richtig sonnig. Spätestens am Nachmittag ziehen dann große Wolkenberge auf. Das krachende Gewitter ist meist unvermeidlich. Nach einem heißen Vormittag vor Anker ist das eine willkommen erfrischende Äquatordusche.

Typisches Wolkenbild nachmittags in Golfito (Costa Rica)…
… und natürlich Regen (gerne mit Blitz und Donner)
Typisches Wolkenbild nachmittags in Panama City…
… und natürlich Regen (gerne mit Blitz und Donner)

Bei Einbruch der Dunkelheit sehen wir auch am Liegeplatz hin und wieder Wetterleuchten. Dabei sind drei Dinge wirklich erstaunlich. Einerseits zucken die Blitze fast schon im Sekundentakt über den Himmel. Andererseits ist es gespenstisch still. Selbst als nachts vor Anker in der Drake Bay der ganze Himmel leuchtet, sich das Schauspiel also direkt über uns abspielen muss, ist außer dem Wind rein gar nichts zu hören. Schließlich ist das Ganze keine Sache von ein paar Minuten. Eine Stunde dauert die Show mindestens, gerne auch mal mehr. Unglaublich!

Passende Untermalung von H-Blockx ;-)

Nicht unerwähnt bleiben darf ein anderer Aspekt der Regenzeit: die Luftfeuchtigkeit. Es ist einfach nur schwül. Der Schweiß tropft nicht, nein er fließt in Strömen den Körper hinab. Getragene T-Shirts werden zum Trocknen in den Wind gehängt. Auch in der Besteckschublade hinterlässt es Spuren. Seit über zwei Jahren leistet auch einiges aus Holz bestehende Kochgeschirr gute Dienste an Bord. Doch wenn sie beim Herausholen unerwartet von leichtem Flaum umhüllt sind, füllt das nicht nur die Mülltüte, sondern setzt auch eine gründliche Schubladenreinigung auf die Liste der zu erledigenden Punkte.

Flaumig…

Kurz und gut… hier ist gerade Regenzeit. Das haben wir so nicht geplant, wie wir Mittelamerika ja grundsätzlich nicht auf dem Plan hatten. Aber nun ist es so, wir machen das Beste daraus und sind um eine Erfahrung reicher, die wir ohne unsere kleine Reise nicht gemacht hätten: Regenzeit in tropischen Breiten.

Dinghy auf der Intensivstation

29. Mai 2021 – Nachmittag

Heute ist kein guter Tag. Die Stimmung an Bord ist gedrückt. Das wie üblich trübe Wetter des Nachmittags tut sein Übriges. Wenigstens ist der Gewitterstarkregen schon durch. Der für gestern geplante Einkauf ist auch noch nicht erledigt. Also nimmt sich der Skipper Rucksack, Tasche, Portemonnaie sowie Handy, setzt sich ins Dinghy und paddelt los.

Wo soll ich anlegen? Die Wahl fällt auf den schon letztens benutzten Platz hinter einer der Mülleimer-Phalanxen. Hierzu eine kurze Erklärung: in Costa Rica wird konsequente Mülltrennung betrieben. Also zumindest was die Auswahl der überall bereitgestellten Abfallbehälter angeht. Hier in der Banana Bay Marina kommen sie immer im 6‘er-Pack: Glas, Plastik, Aluminium, Papier, Bio und Rest. Schön in stabilen Metallgestellen präsentiert, zieren die kleinen bunten Behälter den Schwimmsteg gleich an mehreren Stellen. Hinter so einer Müllsammelstelle parke ich also mit dem Dinghy.

Schnell sind zwei Leinen an dem Metallgestell festgebunden und Rucksack sowie Tasche liegen auf dem Steg. Jetzt fehlt nur noch der alte Skipper. Dieser nimmt die dargebotene Hilfe gerne an und hält sich an dem stabilen Rahmen der Mülleimer fest. Moment mal… sagte ich „stabil“? Weit gefehlt. Die offensichtlich schon gut durchgerostete Befestigung am Steg bricht. In gefühlter Zeitlupe falle ich rücklings und treffe immerhin das Dinghy. Die Mülleimer treiben zwischen mir und dem Steg. So ein Mist.

Schnell berappelt und dran gemacht, alles Treibgut wieder auf den Steg oder (im Fall von kleinerem Abfall) ins Dinghy zu zerren, werfen und holen. Bei einer stramm nach unten führenden Leine stutze ich zunächst ob des daran hängenden Gewichts. Aber natürlich, da ist ja noch das ganze Gestänge. Langsam ziehe ich es an die Wasseroberfläche. Das Ding soll ich jetzt vom wackligen Dinghy auf den Steg wuchten? An dem ich aktuell ja nicht mal mehr festgebunden bin??? Nun gut, also los…

Doch dann höre ich dieses unvergessliche Geräusch, dass kein Schlauchbootinsasse je hören möchte. Ein kurzes Reißen… gefolgt von beständigem Zischen. Der scharfkantig abgebrochene Fuß hat mir ein Loch ins Dinghy gemacht. Wenigstens ist nur die vordere und somit kleinste der drei Luftkammern betroffen. Trotzdem wäre jetzt durchaus der richtige Moment für einen fäkalen Kraftausdruck. Doch es kommt ja noch besser.

Erst mit dem Finger, dann mit dem Knie dichte ich das knapp 1cm große Loch ab und versuche weiter, das Metallgestell rauszubekommen. Bringt nichts. Und Hilfe kommt natürlich auch nicht. Die zwei Gäste auf der Restaurantterrasse können mich zwar schwerlich übersehen, unternehmen jedoch nichts. Na wenigstens zücken sie auch nicht ihre Handys…

Ich lasse das Loch also Loch sein und klettere auf den Steg. Von hier sollte ich das schwere Ding endlich rausbekommen. Klappt auch schon deutlich besser. Nur, dass der andere abgebrochene – ihr erinnert euch?! – scharfkantige Fuß sich nun am Heck verhakt. Schnell beginnt es zu blubbern. Offensichtlich gibt es nun also noch 1-2 weitere Löcher im Dinghy. Dieses Mal in einer der größeren Seitenkammern. Jetzt ist es endgültig Zeit für den Kraftausdruck!

Hastig werfe ich alles Erreichbare auf den Steg, hechte ins Dinghy und paddel was das Zeug hält. Ziel ist die ankernde Samai. Schnell rutscht die Sitzbank aus ihrer Halterung im immer schlaffer werdenden Seitensegment. Auch die Benutzung des dort befestigten Ruders wird dadurch nicht gerade erleichtert. Ich versuche es anders herum stehend, komme jedoch nur noch langsamer voran. Also wieder „richtig herum“ auf den hinreichend gefluteten (zum Glück GFK-)Boden gesetzt und weiter gepaddelt. Immer mit Blick auf den am Heck befestigten Außenborder, dem ich heute definitiv nicht das Schwimmen beibringen möchte.

An Bord der Samai bemerkt man den hektisch paddelnden Skipper erstaunlich früh. Schnell geht der Davit runter, Dinghy ran und hochgezogen. Nun hängt es hoch und trocken und das übernommene Wasser läuft langsam ab. Geschafft. Durchatmen. Meine äußerliche Ruhe täuscht. Im mir brodelt es. Doch was soll ich meckern? Bringt ja nichts. So entsalze ich mich also erst einmal mit gesammelten Regenwasser und danke für das seit Lissabon wasserdichte Handy in meiner Tasche. Dann noch eine WhatsApp-Nachricht an Gabriela von der Marina. Ihre knappe Antwort lautet „Ok“. Nun gut, später sehen wir weiter.

29. Mai 2021 – Abend

Endlich hört es auf regnen. Es ist also Zeit, das Flickzeug rauszuholen. Zum Glück bringt ja jedes aufblasbare Gerät (Dinghy, iSUP, Kajak etc.) sein eigenes Reparatur-Set mit. Derer haben wir vier. Dazu kommt noch ein neutrales Set. Und mit der kürzlichen Reparatur der Ruderhalterung am Dinghy habe ich gerade mal die erste Klebstoff-Tube aufgebraucht. Heute mache ich fast die zweite leer.

Drei große Flicken und die Schadstellen werden jeweils dünn bestrichen. Fünf Minuten warten und das Ganze nochmal. Eigentlich soll noch eine dritte Schicht rauf, doch ich bin mal mutig und presse die Flicken nach erneuter Wartezeit auf die Löcher. Jetzt muss das Ganze nur noch aushärten. Morgen werden wir ja sehen, ob es hält.

30. Mai 2021 – der Morgen danach

Der Patient hat überlebt. Er wirkt zwar nicht taufrisch, die Ränder der Flicken müssen nochmal etwas nachbearbeitet werden und irgendwo verliert er auch noch ein klein wenig Luft. Aber die Alltagstauglichkeit des Dinghys ist wiederhergestellt und darf sich auch gleich auf einer kleinen Einkaufstour unter Beweis stellen. Mit Erfolg!

31. Mai 2021 – Nachspiel?

Wieder braucht es nur eine kleine Luftinfusion, bevor der Skipper für die Erledigung der Formalitäten an Land paddelt. Im Büro der Marina treffe ich Gabriela und spreche sie natürlich auch auf die lädierte Mülleimer-Phalanx an. Ihr wurde in dieser Hinsicht aber nichts zugetragen. Damit sei das erledigt. Habe ich auch kein Problem mit.

Fast nichts passiert ;-)

Nun hängt das Dinghy also wieder hoch und trocken am Heck. Mal sehen, wie der Luftdruck nach drei Tagen Fahrt in Panama aussieht. Wie auch immer, eine Nachuntersuchung wurde bereits angesetzt.

Anfang Juni 2021

Ich bin ein wenig überrascht. Das Dinghy hat anscheinend keine Luft verloren. Schön prall gefüllt hängt es immer noch am Heck. Na das sind doch mal gute Nachrichten. Wäre doch gelacht, wenn uns so ein kleines Malheur gleich ein ganzes Beiboot kosten würde!

Alltagsprobleme in tropischen Breiten: La Cucaracha!

Ja, das ist wirklich ein sehr eingängiges spanisches Volkslied. Viele Interpreten haben ihre Version in die Welt entlassen. Neu war für mich dabei zugegebener Maßen, dass eine der Versionen ein mexikanisches Revolutionslied sein soll. Der Titel entspricht einem Spitznamen des General Huerta, dem Revoluzzer Pancho Villa wird dagegen gehuldigt.

Wie auch immer. Unter Seglern ist dieses Lied ob seines Titel ohnehin nur leidlich geliebt. In Nordeuropa kein wirkliches Thema, im kalten patagonischen Süden Amerikas keinen verschwendeten Gedanken wert, sind diese Überlebenskünstler in tropischen Gegenden ein präsentes Thema. Auch ohne Spanisch-Kenntnisse habt ihr sicher längst erraten, worum es geht: Kakerlaken.

Kein Segler will sie auf bzw. in seinem Boot haben. Da ist es mehr als eine bedauerliche Koinzidenz, dass es in wärmeren Regionen in praktisch jedem Hafen tendenziell von ihnen wimmelt. Unsere ersten Erfahrungen waren noch auf den Kanarischen Inseln. Auf einer Toilette in Lanzarote verkroch sie sich in einer Ecke. Auf den Stegen von Las Palmas haben wir sie dagegen nicht gesehen. Ganz im Gegensatz zu vielen der nur wenige Wochen später dort abfahrenden Teilnehmer der ARC. Auch Schädlinge haben Saison.

Info für nicht-Segler: Die „Atlantic Rally for Cruisers“ (ARC) ist eine langjährige, ursprünglich von der Segellegende Jimmy Cornell (nochmal vielen Dank für die Widmung!) ins Leben gerufene Institution, bei der alljährlich eine ganze Armada (>200!) Yachten gemeinsam von den Kanaren über den Atlantik in die Karibik segelt … nichts für uns. ;-)

Zurück zum Thema. Wir haben schon seit Brasilien Kakerlakenfallen und Cucaracha-Spray an Bord. Genau darum ist es ja auch ein Alltagsproblem. Es ist wahrlich nicht so, dass jedes Segelboot befallen ist. Aber man sollte in gewissen Regionen immer bemüht sein, den Ernstfall zu verhindern. Dazu gehört das Entsorgen von Papier und Pappe (da legen sie gerne Eier rein) und das Spülen von Schuhen, ggf. auch ganzen Einkäufen und sonstigem in Salzwasser (das tötet wohl Eier ab). Schließlich ist es auch keine schlechte Idee, im Hafen die verwendeten Landleinen mit entsprechendem Spray zu präparieren.

Es gibt etwa 4.600 Schabenarten auf der Welt. Vor allem in den Tropen. In Amerika und fast allen Häfen ist die „Amerikanische Großschabe“ verbreitet. Die hat eine echt unangenehme Eigenart: sie kann fliegen! Was nutzen alle terrestrischen und maritimen Schutzmaßnahmen, wenn der Feind eine Luftwaffe sein Eigen nennt?

Als der Skipper in der Drake Bucht (Costa Rica) die Schutzhülle vom noch am Heck befestigten Außenborder nimmt, stockt La Skipper der Atem. Was krabbelt da? Ja, es ist eine… Sch…!!! Ich schubse sie vom Motor und sie fliegt. Immerhin nicht allzu weit. Der unerwünschte Gast landet im Wasser. Sofort kramt La Skipper zwei Fallen raus und postiert sie an (hoffentlich) strategisch günstigen Stellen. Auch die Nachtruhe wird nun kürzer. Mit gespitzten Ohren hören wir auf jedes unbekannte Geräusch. Krabbelt da was? Bisher zum Glück keine Auffälligkeiten.

Etwa eine Woche später sind wir auf dem Weg von Costa Rica nach Panama. In der Nacht sucht ein kleiner Vogel Schutz in unserem Cockpit. Ich schaue mit der Kopflampe, ob alles in Ordnung ist… und sehe ein Bewegung. Neben dem Vogel stehen zwei Segelsandalen. Unter einer davon lugt ein langer Fühler hervor. Matschtod! Und nun?

Ich spüle die Stelle mit Salzwasser. Überall an meinem Körper juckt es. Psychosomatisch oder trockener Schweiß? Immer wieder reiße ich unter Deck Bodenluken auf und sehe… nichts. Das wird sich die nächsten Nächte sicher (bzw. hoffentlich) wiederholen. In blindem Aktionismus greife ich mir die große Sprühdose. Direkt neben dem Fundort ist die Box für die Rettungsinsel. Von oben sprühe ich hinein. Dann mache ich sie auf, sprühe, sprühe und sprühe nochmal rein, mache sie wieder zu und lasse das Zeug einwirken. Noch zwei Stunden später habe ich den süßlichen Geruch in der Nase. Wie gesagt… reiner Aktionismus aber letztlich Valium für die Nerven.

So… wie ist die Lage? Gute Frage. War der zweite Fund nur wieder der erste, der sich zurück an Bord gerettet hat? Warum gibt es (zum Glück!!!) keine Auffälligkeiten unter Deck? Der Niedergang steht nachts weit offen und auch sonst hat ein Segelboot über Wasser erstaunlich viele kleine Durchgänge nach unten. Liegen irgendwo schon Eier und warten auf ihren großen Auftritt? Wir wissen es nicht. Noch nicht. Hofft mit uns, dass es uns nicht erwischt hat, denn erwischen kann es jeden Segler mit diesem Alltagsproblem… Kakerlaken!