25. – 29. Juli 2021
Irgendwann fällt die Entscheidung, das Ende des großen Congresso abzuwarten. Wir wollen halt wirklich mal einen Kuna-Ort besuchen. Dann schaut doch nochmal unser designierter Guide Ratalio vorbei. Er habe auf uns gewartet. Ich antworte, dass wir keine Erlaubnis zum Landgang haben und hole dabei auch unser „Zertifikat“ hervor. Da zeigt er auf die Unterschrift des Oberhauptes von Achutupu und meint, dass dieser seine Erlaubnis gegeben habe. Klingt gut. Wir verabreden uns für den nächsten (letzten?! Kongress-)Tag um 10 Uhr hier an der Samai. Erstaunlicher Weise sind wir pünktlich abfahrbereit. Es wird 10:00… 10:15… 10:30… 10:45… 11:00 Uhr. Niemand da.
Ich werfe den Außenborder an und fahre mit dem Dinghy Richtung Achutupu. Praktisch jedes Augenpaar in Sichtweite schaut mir mindestens kurz mal hinterher. Dann sehe ich an Land zwei Jungs winken und „Miguel“ rufen. Da habe ich dann wohl Ratalios Familie gefunden. Eine junge Frau ruft rüber, dass er in den Bergen sei. Klingt logisch, dass er auf dem Rückweg mit dem Kanu bei uns vorbei schauen wollte. Hat aber wohl irgendwie nicht geklappt.
Dann fahren wir halt spätestens morgen alleine nach Achutupu. Nach Ende des Congresso sollten wir da definitiv auf der sicheren Seite sein. Heute machen wir dafür einen „normalen“ Schul- & Spieltag. Vorher unternehme ich mit Samuel aber noch einen kurzen Dinghy-Ausflug auf die Küstenseite.
Aus alter Tradition machen wir uns gegen 10 Uhr auf den Weg zum Ort. Schon von weitem winkt Ratalio. Wir machen neben dem Steg fest. Dann die Enttäuschung. Wegen dem Congresso dürfen wir leider immer noch nicht an Land kommen. Aber morgen, da soll es endlich klappen. Nun gut, wir verabreden uns also erneut. Natürlich für 10 Uhr.
Endlich ist es soweit. Ja, wir dürfen anlanden. Schon auf den ersten Metern tauchen wir ein in eine andere, uns unbekannte Lebensweise. Gut 2000 Menschen wohnen in Achutupu in einer Art und Weise zusammen, wie es sie in Europa wohl nicht (mehr?!) gibt. Jeder kennt jeden. Ein Wort hier, ein Gruß dort. Keine fünf Schritte ohne sozialen Kontakt. Irgendwie fühlt es sich an, wie eine große Familie. Und diese Familie hat drei unbestrittene Oberhäupter: die Sailas. Folgerichtig führt der erste Weg direkt dorthin. Vorbei an Flughafenbüro und Schule gehen wir direkt zum Zentrum der lokalen Macht. Unser Guide Ratalio geht in ein großes, dunkles Versammlungshaus. Kurz danach kommt er lächelnd wieder raus. Alles in Ordnung, wir haben die offizielle Erlaubnis für unseren Rundgang.



Durch schmale, von löchrigen Zäunen gesäumte Gassen geht es weiter zur breiten Hauptstraße. Wobei der Name mangels fahrbarer Untersätze natürlich in die Irre führt. Hier ziehen wir immer mehr Aufmerksamkeit auf uns. Früher kamen öfters Touristen nach Achutupu. An der Küste gibt es eine kleine Landebahn mit regelmäßiger Verbindung nach Panamá City. Auf der Nachbarinsel steht sogar ein kleines Hotel. Doch das war in der „vor-C***-Zeit“. Landseitig sind Besuche in Guna Yala schon seit Monaten verboten, Segler in dieser Gegend zur Zeit aus doppeltem Grund rar. Einerseits konzentrieren sie sich ohnehin auf die westlicher gelegene Inselwelt. Andererseits gab es in der letzten Saison kaum Fahrten von der Karibik durch den Panamakanal und somit noch weniger potenzielle Besucher, als ohnehin schon.





So sind wir seit nunmehr über einem Jahr die ersten Touristen, die durch Achutupu schlendern! Gerade für die Kinder ist das DIE Ferienattraktion schlechthin. Immer mehr sammeln sich hinter uns. Sie tuscheln, schauen, lachen, trauen sich manchmal sogar einen mutigen Stupser zu, weichen nach einem überraschenden Blick dann aber schnell zurück. Teilweise schart sich ein Pulk von über 40 Kindern um unsere kleine Gruppe. Doch auch die übrigen Bewohner schauen uns hinterher, winken, fragen, lächeln… wir fühlen uns willkommen!
Am Strand schauen wir uns die aus Mahagoni gemachten Kanus genauer an und können natürlich auch nicht den angeschwemmten Müll übersehen. Ebenso wenig die von Geiern besetzten Dorf-Toiletten mit direkter Entsorgung ins Meer. Gerade schlendert ein junger Mann mit Toilettenpapierrolle unter dem Arm vorbei. Neugierig fragen wir Ratalio nach den im Revierführer genannten, selbstreinigenden Schweineställen. Das Prinzip soll dem der Toiletten gleichen. Doch es gibt sie nicht mehr. Zu Beginn der Pandemie ging hier das Gerücht, dass die Übertragung der Krankheit (auch) über Schweine erfolge. Daraufhin wurden sie ausnahmslos geschlachtet.






Unterwegs kommt uns auch die Polizei entgegen. Ja, es gibt hier tatsächlich direkt den Sailas unterstehende Ordnungshüter. Diese haben allerdings ein deutlich entspannteres Leben, als ihre Amtskollegen in Deutschland. Kriminalität gibt es nicht. Waffen sind unnötig. Uns wird gesagt, dass sie nicht zuletzt auf die überall umherschwirrenden Kinder achten. Wohl eher eine Art Kindergarten-Cop?!



Ganze drei evangelische Gotteshäuser gibt es in Achutupu. Sonntags steht der Kirchgang an. Einer der Priester hat nebenbei einen kleinen Laden. Schnell zieht er sich noch ein T-Shirt über. Dann verkauft er uns Cola. Überhaupt verteilen sich einige kleine Läden im Ort. Wir kaufen Eier, Zwiebeln und ein Hühnchen. Für den Skipper gibt es sogar Bier direkt vom aus Colón kommenden Versorgungsschiff am Steg.


Im Zentrum stehen drei große Gemeinschaftshäuser. Hier wird gefeiert. Etwa einmal im Monat! Dafür gleich drei Tage lang. Eines der Häuser ist für die Männer, ein anderes für die Frauen, das letzte schließlich für Küche und Kinder. Jeder wie es ihm gefällt.
Nicht weit davon entfernt steht die Schule. Die Einschulung ist wie bei uns mit fünf Jahren. Sieben Jahre lang ist die Schulbank zu drücken. Gerade sind zwar Ferien, aber ansonsten ist hier einiges los. Auf die etwa 2000 Einwohner kommen sage und schreibe 900 Schüler! Da haben die gut 30 Lehrer ordentlich zu tun. Die offenen, luftigen Klassenzimmer wirken zugleich fremd und vertraut. An der Wand hängen Buchstabentafeln, wie sie auch in heimischen Grundschulen zu finden sind. Der Schulhof ist zugleich Sportplatz. Direkt daneben findet sich ein kombiniertes Basketball-Fussball-Feld. Natürlich überdacht (… wie schon in Ecuador und Costa Rica immer wieder gesehen).


Es gibt auch ein kleines Krankenhaus, in dem sich ein(!) Arzt um auf Wartebänken vor der Tür ausharrende Patienten kümmert. Und einmal im Jahr fliegen für 10 Tage (insbesondere Zahn-)Ärzte aus den USA ein. Entweder von Panama gesponsert oder anderweitig finanziert. Für die Bewohner ist die gesamte medizinische Behandlung jedenfalls kostenlos.


Auch das Wasser ist umsonst. Über unzählige Leitungen wird es von Flüssen an der bergigen Küste bis ins Dorf geleitet und verteilt. In der Tat bietet jede noch so einfache Hütte fließendes Wasser! Selbst Strom gibt es. Die Nähe zum Äquator bietet sich für Solarpaneele geradezu an. Schließlich sehen wir sogar einige wenige Satellitenschüsseln für abwechslungsreichen Fernsehempfang. Tradition trifft Moderne.


Zum Abschluss schlängeln wir uns etwas abseits durch enge Gassen. Insbesondere der Skipper muss immer wieder den Kopf einziehen. Das Ziel sind Haus und Familie unseres Guide Ratalio. Ein kleiner Einblick in den Alltag. Ein schöner Abschluss für einen unvergesslichen Rundgang durch Achutupu.

