19. Juni 2021
Boah ist das früh! Nach knapp vier Stunden leidlichem Schlaf pellt sich die Crew von der Matratze. Bettdecken benutzen wir hier schon lange nicht mehr. Kurz vor 4 Uhr sind alle an Bord und mit insgesamt sieben Personen auf der Samai nehmen wir im Fahrwasser Kurs Nord.

Mit dem Bau des im Jahre 1914 eröffneten Panamakanals wurden alle Landbrücken zwischen Nord- und Südamerika abgebrochen. Heute verbinden lediglich drei Brücken die Kontinente. Zwei davon stehen auf der Pazifikseite. Als ersten unterqueren wir die 1962 in Betrieb genommene Puente de Las Américas, auf der nach Ende der nächtlichen Ausgangssperre allmählich der Verkehr zu Rollen beginnt. Wir fahren entspannt durch den großen Industriehafen „Puerto de Balboa“ zur ersten Schleuse. Für die meisten Segler ist die Esclusa Miraflores das ersehnte Tor zum Pazifik. Für uns ist es dagegen der definitive Schritt zurück Richtung Europa. Perspektivenwechsel.


Um halb sechs geht es los. Die Tore stehen offen und wir fahren hinter dem Chemietanker „Navig8 Goal“ (sic!) in die erste der insgesamt sechs Schleusen, die heute auf dem Programm stehen. Noch wissen wir nicht, wie genau wir geschleust werden. Es gibt grundsätzlich vier Optionen:
- Längsseits an der Wand: Das sollte man eigentlich nicht machen. Die Wände sind rau, das Wasser steigt/fällt schnell und es gibt starke Wirbel. All das macht diese Option wenig komfortabel.
- Längsseits an einem Schlepper: Hierbei handelt es sich dagegen um die bequemste Variante. Zwei Leinen und eine kurz Spring halten das Boot am privaten Schwimmsteg.
- Alleine mittig in der Schleuse: Bei dieser Option bekommt man bei der Einfahrt insgesamt vier dünne Leinen mit erstaunlich schweren „Affenfäusten“ zugeworfen. Diese Knoten sind im Grunde nichts weiter als ein Wurfgewicht, dem man jedoch tunlichst ausweichen sollte. Je nachdem wo sie aufkommen, kann das ganz schön knallen. Mit diesen dünnen Leinen werden dann die vier dicken, langen Leinen an Land gezogen und belegt. An jeder Ecke steht ein Linehandler und trägt die Verantwortung für seine Leine. Der Advisor koordiniert das Ziehen und Fieren, so dass das Boot möglichst mittig und sicher in der Schleuse steht. Der Skipper hat bei dieser Option den entspanntesten Job… zurücklehnen und zuschauen.
- Päckchen mittig in der Schleuse: Letztlich ist es ganz ähnlich wie die letzte Option. Nur dass sich hier nicht ein Boot mit vier dicken Leinen in der Schleusenmitte hält. Stattdessen werden meist drei Boote im Paket zusammengebunden. Das in der Mitte fährt, die Seiten kümmern sich um je zwei Leinen. In der Hauptsaison die einzige Möglichkeit, ausreichend Segler durchzuschleusen. Wir machen unsere Passage jedoch alleine.
Wir haben Glück. Bei Einfahrt in die erste Schleusenkammer wartet schon ein Schlepper auf uns. Ranfahren, Leinen über und entspannen. Da es sich um eine Doppelschleuse handelt, wiederholt sich das Spiel auch bei Nummer 2 von 6. Für den Anfang ist das ganz gut so. Die Miraflores-Schleusen überwinden je nach Wasserstand eine Höhe von 13-20m. Das machen sie in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Das Wasser drückt mit aller Macht und erzeugt Wirbel.


Als dann der große Pott vor uns den Gang einlegt, kommt so richtig Druck aufs Ruder. Dabei muss er seine 183m ja gar nicht alleine voranbringen. An der Seite kaum einen Meter Platz, wird der Tanker von vier Treidelloks gezogen.




In der folgenden Esclusa de Pedro Miguel wird es dann ernst. Der Schlepper bleibt zurück. Wir fahren erst an die linke Wand und bekommen zwei Affenfäuste übergeworfen. Dann noch zwei an der rechten Wand. Eine trifft den Mast, der laut schallt. Unser Advisor ist jedoch so umsichtig, alle Geschosse auf das Vordeck werfen zu lassen. So besteht keine Gefahr für empfindliche Gerätschaften am Heck (Antennen, Windgenerator, Sprayhoodscheiben…)


Was folgt ist für die Linehandler echte Arbeit. Die schweren Leinen müssen auf dem Weg nach oben immer wieder dicht geholt werden. Wirbel versetzen das Boot. Unser Advisor Rick behält den Überblick und dirigiert ebenso meisterlich wie entspannt. Hier kommt seine ganze Erfahrung von mehr als sagenhaften 1.000 Kanaltransits auf verschiedensten Segelbooten zum Vorschein.





Nach gut einer Stunde, um 7:40 Uhr sind wir auf der Pazifikseite hochgeschleust. Wir unterqueren die 2004 eröffnete Puente Centenario. Vor uns liegen 25 Seemeilen entspannte Motorfahrt durch Kanal und künstlichen Gatún See. Jetzt erst einmal ein schönes Frühstück!


Am Anfang ist es fast wie auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Nur ist das Ufer nicht von Radweg, norddeutschen Häuschen und gemähtem Rasen gesäumt, sondern von Dschungel. Die Sonne scheint. Gemütlich tuckern wir mit 5-6 Knoten voran.


Nach einiger Zeit passieren wir Gamboa. Hier liegen Baggerschiffe und Schlepper auf Abruf. Es gibt sogar ein 5-Sterne-Hotel mit Dschungelfeeling. In Gamboa endet dann auch die Straße aus Panama City. Das Ufer wird natürlicher. Hin und wieder sieht man kleine Häuschen einer Lodge. Immer mal wieder rasen kleine Motorboote mit Menschen in Rettungswesten vorbei. Touristen, die den Reiz des Panamalkanals mit einer Dschungelfahrt kombinieren. So geht es einmal quer durch das schmale Land.


Allmählich wird es breiter. Der Gatún See öffnet sich. Wir würden gerne den reizvollen Banana Channel fahren. Ein enges Fahrwasser, dass sich an die einstigen Bergspitzen schmiegt, welche nun Inseln sind. Doch leider ist er gesperrt. Dicht unter der Oberfläche treiben Baumstämme. Eine Gefahr für Rumpf und vor allem Propeller. So bleibt die Samai auf dem Hauptfahrwasser.

Der Advisor ist glücklich… … wenn die Leinen klariert sind!

Wir kommen gut voran und erreichen die Atlantikseite deutlich vor unserem designierten Schleusenpartner. Vielleicht schaffen wir ja eine frühere Option? Doch die „Hyundai Dubai“ wartet nicht auf uns. So fahren wir nun also Kreise und essen erst einmal gemütlich Mittag.
Zwei Stunden später, kurz vor drei Uhr, geht es auch für uns endlich weiter. Wir liegen zusammen mit der „Doric“ in der ersten Kammer der Esclusas de Gatún auf Atlantikseite. Wieder haben wir das Glück, mit einem Schlepper durchzufahren. Dazu liegen wir nun vor dem Frachter. Damit bleiben uns die Verwirbelungen der Schraube erspart.



Die dritte und letzte Schleusenkammer hat es trotzdem in sich. Kräftige Wirbel und Ströme versetzen uns teils meterweise Richtung Wand. Als wir fest sind meint Rick, dass das bei der letzten Kammer immer so sei. Mehr als hier noch auf der Pazifikseite. „Sorry, I should have told you!“. Na ist ja nichts passiert.





Das letzte Tor öffnet sich und vor uns liegt die Karibik. Sehnsuchtsziel vieler Segler. Tja, nun ist also auch die Samai hier. Wir unterqueren noch die gerade erst 2019 eröffnete Puente Atlántico. Ein Pilotboot kommt ran und nimmt unseren Advisor auf. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an Rick! Professionell, entspannt und immer freundlich führtest du uns durch den Kanal. Es war eine Freude, dich an Bord zu haben!

Weiter geht es zur Shelter Bay Marina. Für die meisten der Ausgangs-, für uns der Endpunkt des kleinen Abenteuers Panamakanal. Wir haben uns angekündigt und werden erwartet. Bei der Einfahrt gehen unsere Augen auf. Eine derartig voll gepackte Marina, so viele Segelboote auf einem Fleck haben wir nicht mehr gesehen seit… ja seit wann eigentlich? Es war wohl 2019 irgendwo in Europa. Willkommen in der Karibik?!
Professionell werden wir eingewiesen. Motor aus. Geschafft. Nun heißt es Abschied nehmen. Noch einmal vielen Dank an Rudi und Natalija. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel lieber wir mit euch, als mit „irgendwelchen pseudo-professionellen Linehandlern“ durch den Kanal gefahren sind. Es war eine Riesenfreude, euch an Bord zu haben!

Ja, wir sind in der Karibik. Schon der erste Hafen ist eine Art nicht wirklich genossener Kulturschock. Ja, es ist nett hier. Sogar mit Swimmingpool. Trotzdem fühlt es sich komisch an. Auch deswegen versuchen wir uns treu zu bleiben und die allzu ausgetrampelten Pfade zu meiden. Hoffentlich gelingt es uns…