Dinghy auf der Intensivstation

29. Mai 2021 – Nachmittag

Heute ist kein guter Tag. Die Stimmung an Bord ist gedrückt. Das wie üblich trübe Wetter des Nachmittags tut sein Übriges. Wenigstens ist der Gewitterstarkregen schon durch. Der für gestern geplante Einkauf ist auch noch nicht erledigt. Also nimmt sich der Skipper Rucksack, Tasche, Portemonnaie sowie Handy, setzt sich ins Dinghy und paddelt los.

Wo soll ich anlegen? Die Wahl fällt auf den schon letztens benutzten Platz hinter einer der Mülleimer-Phalanxen. Hierzu eine kurze Erklärung: in Costa Rica wird konsequente Mülltrennung betrieben. Also zumindest was die Auswahl der überall bereitgestellten Abfallbehälter angeht. Hier in der Banana Bay Marina kommen sie immer im 6‘er-Pack: Glas, Plastik, Aluminium, Papier, Bio und Rest. Schön in stabilen Metallgestellen präsentiert, zieren die kleinen bunten Behälter den Schwimmsteg gleich an mehreren Stellen. Hinter so einer Müllsammelstelle parke ich also mit dem Dinghy.

Schnell sind zwei Leinen an dem Metallgestell festgebunden und Rucksack sowie Tasche liegen auf dem Steg. Jetzt fehlt nur noch der alte Skipper. Dieser nimmt die dargebotene Hilfe gerne an und hält sich an dem stabilen Rahmen der Mülleimer fest. Moment mal… sagte ich „stabil“? Weit gefehlt. Die offensichtlich schon gut durchgerostete Befestigung am Steg bricht. In gefühlter Zeitlupe falle ich rücklings und treffe immerhin das Dinghy. Die Mülleimer treiben zwischen mir und dem Steg. So ein Mist.

Schnell berappelt und dran gemacht, alles Treibgut wieder auf den Steg oder (im Fall von kleinerem Abfall) ins Dinghy zu zerren, werfen und holen. Bei einer stramm nach unten führenden Leine stutze ich zunächst ob des daran hängenden Gewichts. Aber natürlich, da ist ja noch das ganze Gestänge. Langsam ziehe ich es an die Wasseroberfläche. Das Ding soll ich jetzt vom wackligen Dinghy auf den Steg wuchten? An dem ich aktuell ja nicht mal mehr festgebunden bin??? Nun gut, also los…

Doch dann höre ich dieses unvergessliche Geräusch, dass kein Schlauchbootinsasse je hören möchte. Ein kurzes Reißen… gefolgt von beständigem Zischen. Der scharfkantig abgebrochene Fuß hat mir ein Loch ins Dinghy gemacht. Wenigstens ist nur die vordere und somit kleinste der drei Luftkammern betroffen. Trotzdem wäre jetzt durchaus der richtige Moment für einen fäkalen Kraftausdruck. Doch es kommt ja noch besser.

Erst mit dem Finger, dann mit dem Knie dichte ich das knapp 1cm große Loch ab und versuche weiter, das Metallgestell rauszubekommen. Bringt nichts. Und Hilfe kommt natürlich auch nicht. Die zwei Gäste auf der Restaurantterrasse können mich zwar schwerlich übersehen, unternehmen jedoch nichts. Na wenigstens zücken sie auch nicht ihre Handys…

Ich lasse das Loch also Loch sein und klettere auf den Steg. Von hier sollte ich das schwere Ding endlich rausbekommen. Klappt auch schon deutlich besser. Nur, dass der andere abgebrochene – ihr erinnert euch?! – scharfkantige Fuß sich nun am Heck verhakt. Schnell beginnt es zu blubbern. Offensichtlich gibt es nun also noch 1-2 weitere Löcher im Dinghy. Dieses Mal in einer der größeren Seitenkammern. Jetzt ist es endgültig Zeit für den Kraftausdruck!

Hastig werfe ich alles Erreichbare auf den Steg, hechte ins Dinghy und paddel was das Zeug hält. Ziel ist die ankernde Samai. Schnell rutscht die Sitzbank aus ihrer Halterung im immer schlaffer werdenden Seitensegment. Auch die Benutzung des dort befestigten Ruders wird dadurch nicht gerade erleichtert. Ich versuche es anders herum stehend, komme jedoch nur noch langsamer voran. Also wieder „richtig herum“ auf den hinreichend gefluteten (zum Glück GFK-)Boden gesetzt und weiter gepaddelt. Immer mit Blick auf den am Heck befestigten Außenborder, dem ich heute definitiv nicht das Schwimmen beibringen möchte.

An Bord der Samai bemerkt man den hektisch paddelnden Skipper erstaunlich früh. Schnell geht der Davit runter, Dinghy ran und hochgezogen. Nun hängt es hoch und trocken und das übernommene Wasser läuft langsam ab. Geschafft. Durchatmen. Meine äußerliche Ruhe täuscht. Im mir brodelt es. Doch was soll ich meckern? Bringt ja nichts. So entsalze ich mich also erst einmal mit gesammelten Regenwasser und danke für das seit Lissabon wasserdichte Handy in meiner Tasche. Dann noch eine WhatsApp-Nachricht an Gabriela von der Marina. Ihre knappe Antwort lautet „Ok“. Nun gut, später sehen wir weiter.

29. Mai 2021 – Abend

Endlich hört es auf regnen. Es ist also Zeit, das Flickzeug rauszuholen. Zum Glück bringt ja jedes aufblasbare Gerät (Dinghy, iSUP, Kajak etc.) sein eigenes Reparatur-Set mit. Derer haben wir vier. Dazu kommt noch ein neutrales Set. Und mit der kürzlichen Reparatur der Ruderhalterung am Dinghy habe ich gerade mal die erste Klebstoff-Tube aufgebraucht. Heute mache ich fast die zweite leer.

Drei große Flicken und die Schadstellen werden jeweils dünn bestrichen. Fünf Minuten warten und das Ganze nochmal. Eigentlich soll noch eine dritte Schicht rauf, doch ich bin mal mutig und presse die Flicken nach erneuter Wartezeit auf die Löcher. Jetzt muss das Ganze nur noch aushärten. Morgen werden wir ja sehen, ob es hält.

30. Mai 2021 – der Morgen danach

Der Patient hat überlebt. Er wirkt zwar nicht taufrisch, die Ränder der Flicken müssen nochmal etwas nachbearbeitet werden und irgendwo verliert er auch noch ein klein wenig Luft. Aber die Alltagstauglichkeit des Dinghys ist wiederhergestellt und darf sich auch gleich auf einer kleinen Einkaufstour unter Beweis stellen. Mit Erfolg!

31. Mai 2021 – Nachspiel?

Wieder braucht es nur eine kleine Luftinfusion, bevor der Skipper für die Erledigung der Formalitäten an Land paddelt. Im Büro der Marina treffe ich Gabriela und spreche sie natürlich auch auf die lädierte Mülleimer-Phalanx an. Ihr wurde in dieser Hinsicht aber nichts zugetragen. Damit sei das erledigt. Habe ich auch kein Problem mit.

Fast nichts passiert ;-)

Nun hängt das Dinghy also wieder hoch und trocken am Heck. Mal sehen, wie der Luftdruck nach drei Tagen Fahrt in Panama aussieht. Wie auch immer, eine Nachuntersuchung wurde bereits angesetzt.

Anfang Juni 2021

Ich bin ein wenig überrascht. Das Dinghy hat anscheinend keine Luft verloren. Schön prall gefüllt hängt es immer noch am Heck. Na das sind doch mal gute Nachrichten. Wäre doch gelacht, wenn uns so ein kleines Malheur gleich ein ganzes Beiboot kosten würde!