Jahreswechsel 2020/21
Der letzte Tag des ach so denkwürdigen Jahres 2020 bringt uns etwas, das wir schon sehr lange nicht mehr erleben durften: 24 Stunden Segeln!
Weht es bei der gestrigen Abfahrt im Río Valdivia anfangs zwar noch kanalisiert auf die Nase, so hilft der Strom dann doch schnell auf den Pazifik. Noch in der Abdeckung ziehen wir das Groß im zweiten Reff hoch. Draußen verzweifeln wir dann erst mal wieder am Abgleich von leichter Südwindvorhersage und kräftigem Westwinderlebnis. Nicht schön, aber segelbar. Die Fock geht raus, der Motor aus, die Samai darf endlich mal wieder das tun, wofür sie letztlich gebaut wurde. Segeln! Angetrieben von pfeifendem Wind pflügt der Rumpf durch rauschende Wellen nach Nordwest Richtung Juan Fernandez. Schon kurz danach werden wir mit den Wettergurus versöhnt. Der Wind dreht schnell auf Süd und wir fliegen raumschots in den Sonnenuntergang.

Die Crew geht zeitig ins Bett und der Skipper hat das Boot für sich. Eine ruhige, sternenklare Nacht. Nur einmal zeigt sich ein AIS-Signal 10 Meilen achteraus, ansonsten sind wir alleine. Ab ein Uhr beginne ich mein erprobtes Ritual für solche Nächte. In voller Montur (also insbesondere mit Rettungsweste und Lifebelt) lege ich mich auf die kurze Couch im Salon. Der Handywecker wird direkt am Hals unter den Pullover geschoben. Augen zu.
Etwa alle 30 Minuten – mal etwas früher, mal etwas später – ruft die Pflicht. Die ersten Blicke gelten Kurs und Windentwicklung. Danach prüfe ich am aktiven Radarreflektor, ob uns andere Schiffe auf dem Schirm haben. Zeigt das AIS (Automatic Identification System… tolle Erfindung) jemanden in der Gegend? Den Abschluss bildet der obligatorische Rundumblick über den vom Vollmond erleuchteten Pazifik. Nichts. Nächste Runde. Augen zu.
Abgesehen von einer leichten Windabnahme passiert absolut gar nichts. Ja, man könnte eventuell ausreffen, aber dann steht die Fock in der Abdeckung des Groß noch schlechter. Gerade nachts segeln wir ohnehin eher konservativ. Da muss ich mir den Aufwand, im Dunkeln alleine draußen herumzuturnen, nicht wirklich geben. Das ist bei Tageslicht viel entspannter.


Eben diesen Tag verbringen wir dann eigentlich recht typisch für den Beginn eines mehrtägigen Törns. Zumindest, wenn es kein Kaffesegeln ist. Samuel liegt fast den ganzen Tag in seine Decke gemummelt im Cockpit und hört ein Hörbuch. Unter Deck wird ihm später pünktlich zum Essen flau. Er stürmt hoch, haut danach aber trotzdem ordentlich rein. Die Jungs essen oben. Maila sitzt am Tag auch stundenlang draußen, schaut auf die Wellen und erlebt Abenteuer ihrer Gedankenwelt. Das kann durchaus anstrengend sein, am Nachmittag schläft sie spontan auf der Couch ein. Gleich neben La Skipper. Die Arme gibt sich ganztägig den zweifelhaften Freuden Ihres „Segelmodus“ hin. Bevorzugt in der Horizontalen. Glücklicherweise ist es keine schwere Seekrankheit, aber anfangs helfen ihr Tee, Vomex und Ruhe am besten durch den Tag.

Der Skipper kümmert sich derweil um die übrig gebliebenen Kleinigkeiten: Segeln, Frühstück servieren, Betuddeln, Abendessen machen, Abwasch und was sonst noch so anfällt. Gut zu wissen, dass sich das mit steigender Einsatzbereitschaft der Crew schon bald nivelliert.
Ihr leichtes Unwohlsein hat sich La Skipper heute dann auch redlich verdient. Seit Mittags weht es kräftig aus Süd, Böen erreichen inzwischen leicht über 30kn. Die Wellen bauen sich immer mehr auf und schaukeln Boot sowie Crew ordentlich durch. Die Fock ist eingeholt, dafür das Groß zum 1. Reff hochgezogen. Das reicht völlig aus.

Jetzt ist es soweit: Vier Stunden nach Deutschland ist nun auch hier Mitternacht! Auf Wiedersehen… besser doch auf Nimmerwiedersehen 2020. Willkommen 2021. Mach es besser als Dein Vorgänger, die Hürde liegt nicht allzu hoch. ;-)
Als erstes klappere ich die Betten ab und gebe jedem ein Neujahrsküsschen. Dann kommen Position (37°14,62’S / 075°48,66’W), Wetter (Süd 6, in Böen 7), Seegang (5, Höhe gut 3m, Periode knapp 10s), Geschwindigkeit über Grund (je nach Welle 6 bis über 10kn), Segel (Groß im 1. Reff) und ein Neujahrsgruß ins Logbuch.
Vor genau einem Jahr segelten wir gerade vor dem argentinischen Mar Del Plata und konnten auf die Entfernung ein bisschen Feuerwerk erkennen. Heute, 200sm nach Valdivia und 260sm vor der Isla Robinson Crusoe, bleibt die Nacht komplett schwarz. Diese Tendenz gilt dieses Jahr aber wohl nicht nur hier auf dem Pazifik. Alles anders. Das ist nicht neu. Daran sind wir inzwischen schon gewöhnt. Leider.
Aber gerade heute ist doch mehr als alles andere der eine Tag im Jahr, an dem der Blick nicht griesgrämig zurück, sondern frohgemut voraus gehen sollte. Schon klar, dass dieses Datum im Grunde nur eine willkürliche, kulturelle geprägte Festlegung ist. Ein Abfallprodukt unseres Kalenders. Zwar verbreitet, aber letztlich doch nur ein Kalender unter vielen auf der Welt. Trotzdem finde ich es wichtig, dass es genau so einen Tag gibt. Und wir etwas daraus machen. Nein, keine recycelten, weil ohnehin nicht eingehaltenen „guten Vorsätze für das neue Jahr“. Vielmehr ein Ansporn, neue Energie, ein Lächeln für andere und – genauso wichtig! – für sich selbst.
Wir wünschen uns allen von Herzen ein unvergesslich schönes neues Jahr 2021!!!

Frohes neues Jahr!
🥂
Liebe Crew der Samai,
Euch allen ein frohes neues Jahr mit vielen lustvollen Segelmeilen. Ich freue mich mit Euch,
dass Ihr endlich Valdivia verlassen habt und auf dem verheißungsvollen Trip in die Südsee seid.
Herzliche Grüße aus Lübeck
Hans und Barbara