Von Vorsegeln und Leinen

Bonaire, Anfang 2022

Das Problem kündigt sich schon in Kolumbien an. Das (aufgerollte) Vorsegel lässt sich immer schwerer rausziehen. Ein Klassiker ist in diesem Fall die dafür zuständige Reffleine. Doch der Tausch bringt nichts. Der manuelle Test am Bug bringt Gewissheit. Die für die Drehung der Rollreffanlage verantwortlichen Trommeln sind gelinde gesagt schwergängig. Die von der kleineren Kutterfock ist inzwischen komplett fest.

Ich frage bei Nils (unserem stets ansprechbaren Allures-Support von Blue Sailing) nach, ob das irgendein komischer Effekt aus dem Blitzschlag sein könnte. Die Antwort kommt umgehend: „Nein, das ist ein Serienproblem vom Hersteller Facnor. Ich schicke Dir mal den Kontakt vom deutschen Service. Mach da mal ordentlich Lärm, dann bekommst Du vielleicht zwei neue Rollen.“ Gesagt, getan. Also die Kontaktaufnahme. Ich habe natürlich einfach nur ganz nett nachgefragt, wie Facnor mein Problem zu handhaben gedenkt. Ein paar Rückfragen später kommt die Frage nach einer möglichen Lieferadresse für zwei neue Rollen. Aruba wird wegen schlechter Erfahrungen abgelehnt, aber Bonaire geht klar. Als wir hier ankommen, wartet das Paket schon im Zoll auf uns. Klar, das wir diese Gebühren selbst zahlen müssen, aber die Rollen bekommen wir auf Kulanz kostenlos. Und das über sechseinhalb Jahre nach Erstwasserung. Das nenne ich – bei allem Ärger über den eigentlichen Fehler – wirklich mal Service.

Doch die eigentliche Arbeit steht mir damit ja noch bevor. Die Rollen wickeln sich schließlich nicht von selbst um die zwei Vorstage. Jetzt kommt mir zugute, dass ich das innere Stag der Kutterfock in Ushuaia schon mal runter nehmen musste. Das ist jetzt nicht einmal nötig. Schließlich muss ich nur von unten ran. Oben kann es fest bleiben. Dafür sind nun aber beide Stage dran.

4. Januar 2022 – Vorsegel bergen

Als erstes holen wir mal die Segel runter. Dabei bieten sich die frühen Morgenstunden an. Da ist es meist noch sehr ruhig. So liegen nun also zwei Vorsegel bei mir in der Koje. Nur gut, dass Samuel schon vor einigen Tagen beschlossen hat, die Nacht oben im Cockpit zu verbringen.

12. Januar 2022 – Vorbereitungen am Stag

Heute ist es also soweit. Bewaffnet mit Werkzeugkoffer, Facnor-Anleitung (RTFM!) und einer gehörigen Portion Optimismus wage mich an den Bug. Was soll schon passieren?! Ich löse ein paar Schrauben. Mal geht es leichter, mal etwas schwerer. Dann kann ich alles oberhalb der Rollen hochschieben. Noch ein paar Schrauben und jetzt sollte sich eigentlich auch die Rolle lösen lassen. Das klappt am vorderen Stag erstaunlich gut. Ausgerechnet am schon einmal abgenommenen Kutterstag kommen gezwungener Maßen „Seglers Allzweckwaffe wenn es klemmt“ WD40 und Hammer zum Einsatz. Aber dann ist es geschafft. Die Spanner der Vorstage liegen frei. Hmmm… sieht aus, als ob auch die noch ein bisschen WD40 mit Einwirkzeit brauchen könnten. Nun gut, dann muss ich für heute wohl erst einmal Schluss machen… it’s five o’clock somewhere ;-)

13. Januar 2022 – Mach weg das Stag

Also eigentlich sind es ja zwei Stage. Großes Werkzeug und durchaus ein bisschen Krafteinsatz sind schon notwendig. Damit lockere ich erst einmal die Spanner der zwei Stage. Dabei zähle ich die Umdrehungen mit. Es ist nichts an Bord um die Spannung von Wanten und Stagen zu messen. Also behelfe ich mir mit Farbmarkierungen für die grobe Orientierung und eben diesem Zählen beim Lösen. Nach 18 bzw. 20 Umdrehungen lassen sich die unten haltenden Schrauben guten Gewissens lösen. Da hängen sie nun schlaff herunter. Aber nur so kann man die blockierten Trommeln tauschen.

Kutterstag

Das geht wie erwartet sehr flott von der Hand. Alleine die erneute Befestigung ist etwas knifflig. Samuel sitzt mit der dicken Schraube bereit und wartet, bis ich genug am Stag gezogen habe, so dass es nicht durchhängt und gerade so lang genug für den Befestigungspunkt ist. Das hört sich leichter an als es ist. Schließlich hängt ja auch noch das ganze Rollreff-Gedöns dran. Doch irgendwann ist es geschafft.

Der Rest dann dann schon fast Routine. Die gemerkte Anzahl (zunehmend kräftezehrender) Umdrehungen auf die Spanner bringen. Neue Splinte rein. Dann noch die ganzen Rollreffeinzelteile zusammen- und anschrauben. Schließlich der Trockentest: Und sie drehen sich doch!

14. Januar 2022 – Vorsegel setzen

Es ist Zeit, meine Bettnachbarn der letzten Nächte wieder hochzuziehen. Das ist nun wirklich schon Routine und geht am windarmen Morgen leicht von der Hand. Als kleinen Bonus fädeln wir zum Abschluss neue Reffleinen ein. Das sind die Leinen, mit denen die Vorsegel gesetzt bzw. vor allem auch wieder eingeholt werden. Ein Weihnachtsgeschenk aus der Heimat für den Skipper. Dafür müssen die alten Schoten (für die Stellung der gesetzten Segel) noch eine Weile durchhalten.

Weihnachtsleinen :-)

Nachtrag – Großfall

Wenn wir schon beim Thema „Leinen“ sind, sprechen wir noch kurz über unser Großfall. Das ist die Leine, mit der das Großsegel hochgezogen wird. Die ist bei und nun auch schon 7 Jahre alt und trotz zwischenzeitlichem Richtungstausch sehr steif und unhandlich geworden. Was für ein Zufall, dass der Skipper ebenfalls zu Weihnachten gleich auch noch ein neues Großfall bekommen hat. Mit Hilfe des alten Falls (sowie über eine Sorgeleine zusätzlich gesichert!) ziehen wir das neue Tauwerk durch den Mast. Klappt erstaunlich gut.

rot-schwarz = alt / gelb = Sorgeleine / blau = neu

So… damit sind wir „leinentechnisch“ einsatzbereit. Die Vorsegel sind endlich wieder nutzbar und auch das Groß sollte nun lockerer von der Hand gehen. Das können wir auf unserer nächsten Etappe gut brauchen…

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