25. März 2022
Schon bei unserer Camping-Tour erzählt unser indigener Guide vom Stamm der Macushi etwas über die oft leidvolle Geschichte seines Volkes. Dieses lebt heute grenzübergreifend in Guyana und Brasilien. Eine Grenze, die sie selbst niemals gezogen haben. Doch das ist bei weitem nicht alles. Exemplarisch möchte ich hier von der Sprache erzählen.
Nach Ankunft der Kolonialisten wurde den indigenen Völkern bei Strafe verboten, ihre eigenen Sprachen zu sprechen. Bis heute ist Englisch die offizielle Nummer 1. Viele indigene Mundarten sind inzwischen ausgestorben oder verkrüppelt. Dabei „half“ der Umstand, dass diese Sprachen keine schriftliche Tradition haben. Nur über den täglichen, mündlichen Gebrauch waren sie erlernbar. Das ändert sich erst und ausgerechnet über den Einsatz der Amerikanerin Miriam Abbot. Sie lebte und arbeitete gut 30 Jahre in Brasilien und entwickelte zusammen mit den indigenen Völker eine Schriftversion der fast vergessenen Sprachen. Geschrieben wird diese übrigens von rechts nach links.
Trotzdem ist viel verloren gegangen. Es gibt nun einmal kein altes Wörter- oder Grammatikbuch der ursprünglichen, fast vergessenen Sprachen. Auch heute noch kommt kein Schüler in Guyana an Englisch vorbei. Daneben gibt es Unterricht in Spanisch und Portugiesisch. Indigene Sprachen kann man höchstens als freiwilliges Wahlfach lernen. Manch einer mag jetzt vielleicht denken, dass das ja wohl nicht so schlimm sei. Da empfehle ich nur einmal einen kurzen Perspektivenwechsel. Man stelle sich vor, die Alliierten hätten Englisch als Hauptsprache in (West-)Deutschland installiert und die Nutzung unserer eigenen Sprache bei Strafe verboten… muss ich weiter schreiben?

Doch die Sprache ist natürlich nicht die einzige Herausforderung für die indigene Lebensart. Der allgemeine Fortschritt und die auch in abgelegene Gebiete reichende, weltweite Vernetzung tun ihr Übriges. Umso mehr sind wir positiv überrascht, wie Surama damit umgeht. Wie eigentlich immer und überall fängt es mit der Bildung an.

Direkt neben dem (hier obligatorischen!) Kindergarten liegt die Grundschule. Aktuell lernen hier 43 Schüler in sechs Klassen. Die meisten davon einem großen Raum. Vorne sind die Klassen 1 und 2, in der Mitte 3 und 4, hinten die 5. Mitten drin das Krankenbett. Nur die 6. Klasse hat ein eigenes, durch die Spende eines Engländers finanziertes Gebäude. Gerade finden hier die Vorbereitung für die Abschlussprüfung statt. Überall fallen uns Details auf. Daran kann sich manch eine Schule in „entwickelten Ländern“ ein Beispiel nehmen!









Nach der Grundschule führt der weitere Bildungsweg weg von Surama. Eine Oberschule findet sich nur in größeren Ortschaften. Das war es dann aber meist auch schon. Die Uni im fernen Georgetown ist ohne Stipendium unbezahlbar. So bleibt nach dem Schulabschluss die Jobsuche.
Das ist auch ein Grund für die lokal betriebene Surama Eco Lodge, deren Gäste wir sind. Damit werden Arbeitsplätze und Einkommen für die Community geschaffen. Viele Jugendliche kommen tatsächlich zurück. Bei fast jedem Schritt spüren wir, dass wir hier durch eine intakte Dorfgemeinschaft laufen.
Das ganze Land gehört der Community. Wenn jemand ein Haus bauen oder ein Stück Land nutzen möchte, muss beim Council um Erlaubnis gefragt werden. Und auch dann wird Land nicht verkauft oder übereignet. Es bleibt Gemeindeeigentum.


Neben der Schule befindet sich im Zentrum ein großes Sportfeld. Hier finden im September, dem Monat der „Indigenious Celebrations“ auch Wettbewerbe (z.B. Bogenschießen) der neun Stämme Guyanas statt. Jeder ist für eine Spezialität bekannt, hier ist es das Flechten von Körben und Spinnen von Stoffen. Diese alljährlichen, das indigene Erbe feiernden Wettbewerbe gehen von der lokalen Ebene bis hin nach Georgetown.

Einen weiteren Beitrag für die Gemeinschaft liefert die Kirche. Es gibt trotz gewisser Glaubensvielfalt nur ein anglikanisches Gotteshaus, in dem jeder willkommen ist. Man möchte nicht, dass unterschiedliche Glaubensrichtungen und getrennte Rituale die Gemeinschaft spalten. Tatsächlich trifft sich hier sonntäglich das ganze Dorf zum gemeinsamen Gottesdienst und natürlich auch für die offiziellen Verlautbarungen des Council.




Auch sonst wird einiges getan. Es gibt einen „Women’s Organic Garden“ (…bei dem Männer höchstens als Hilfskräfte willkommen sind ;-). Ein Wildlife Club bringt der Jugend das Verständnis für die Schätze der Natur und Umgebung nahe.
Zum Abschluss unseres kleinen Dorfrundgangs kommen wir zur Machtzentrale, dem White House! Nicht ganz so pompös wie bekanntere Namensvettern tagt hier der Counsil und entscheidet über die wichtigen Angelegenheiten der Gemeinschaft.

Direkt daneben steht ein Totem. Ja, hier ist jedem klar, dass das eine nordamerikanische Tradition ist. Trotzdem hat auch hier ein lokaler Künstler natürlich mit lokalen Motiven dieses Symbol der sinngebenden Gemeinschaftsbildung geschaffen.


Und dann ist da noch das Thema der medizinischen Versorgung. In heutigen Zeiten kann man dabei erwähnen, dass das gesamte Dorf komplett durch geimpft ist. Tatsächlich war die Impfung der Eltern sogar Voraussetzung für den Schulbesuch der Kinder. Das motiviert. Ansonsten gibt es im Dorf einen Healthworker, der sich um kleinere Krankheiten, aber auch einer zuverlässigen Malaria-Diagnose kümmert. Der nächste Doktor ist im einige Kilometer entfernten Annai. Einen Medizinmann gibt es in Surama dagegen nicht mehr. Dieser Posten ist dem klassischen Nachfolgeproblem zum Opfer gefallen, was natürlich zu einem großen Verlust naturheilkundlichen Wissens führte.
Der kleine „Surama-City-Bus“ fährt uns zurück zur Lodge. Normalerweise wird er vor allem für Einkäufe genutzt. Der nächste Supermarkt ist 18 Meilen weit weg. Da tun sich regelmäßig Familien für gemeinsames Shopping zusammen. Morgen früh dagegen bringt er Einnahmen durch den Transport von Touristen. Mit ihm fahren wir weiter zu unserem nächsten Ziel in Guyana.


