Nachtfahrt nach Süden

Es gibt eine Sache, mit der man in der Antarktis ausgesprochen vorsichtig sein sollte: Nachtfahrten! Das hängt einerseits mit den notorisch ungenauen Karten zusammen, andererseits natürlich mit dem weiter südlich vermehrt auftretendem Eis.

Abschied von Deception Island

Doch Anfangs hatten wir eher mit komischen Tiefenangaben zu kämpfen. Karte und Tiefenmesser mit Anzeige „—“ waren sich soweit einig, dass da eigentlich genug Wasser unter dem Kiel sein sollte. Dann zeigte es plötzlich 11m… oder 6m… oder auch 3m! Irgendwann hielten wir einfach mal an und warfen ein Lot ins Wasser. Nein, da war (erwartungsgemäß) keine unkartierte Untiefe. Dafür aber lustige, durchsichtige Glibbergebilde mit roten Kernen. Wenn wir mal wieder online sind, müssen wir unbedingt herausfinden, was das eigentlich ist.

Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass es Einsamkeit zumindest hier im Norden der Antarktischen Halbinsel nicht wirklich gibt. Im Umkreis von 6sm fuhren 3 „Fähren“ (also Kreuzfahrer) plus die Sarah W. Vorwerk hinter uns. Kurz danach kamen dann nördlich von Trinity Island die ersten Eisberge in Sicht. Mit Radar und Fernglas noch problemlos zu sehen, verdunkelte sich die Nacht zunehmend. Ja, die größeren Brocken waren immer noch gut im Radar zu sehen. Aber selbst wenn man durch das Fernglas immer noch scheinbar heller sehen kann als mit bloßem Auge, wurde es zunehmend schwierig, das nun häufiger auftretende kleinere Eis auszumachen. Interessanter Weise war es aber selbst in dunkelster Stunde kein wirkliches Problem, die großen, auf dem Radar angezeigten Eisberge auch auf einige Entfernung visuell zu bestätigen. Aber wer schon einmal nachts gesegelt ist weiß auch, dass das mit der Entfernungswahrnehmung im Dunkeln so eine Sache ist.

Letzte Sonnenstrahlen

Um 1:40 Uhr bei inzwischen verlangsamter Fahrt mit kaum Sicht holte ich das bis dahin noch als Unterstützung gesetzte Großsegel ein und stand gerade am Mast, als es hinter mir schnaufte. Was war das? Wale! Durch das Fernglas konnte ich tatsächlich 3-4 (mutmaßlich Buckel-) Wale ausmachen, die nicht weit entfernt immer wieder ihren Blas ausstießen.

Ich hatte inzwischen den Entschluss gefasst, auf die Sarah zu warten und mich hinter sie zu setzen. Zwei Argumente sprachen dafür:

  1. Sie hatte einen erfahrenen Skipper und Wache gehende Crew, wohingegen ich alleine wach auf der Samai rumturnte.
  2. Sie hatte oben im Mast einen Scheinwerfer, der das unmittelbare Umfeld voraus und insbesondere darin enthaltenes Eis gut ausleuchtet.

Da klingt es wie Ironie des Schicksals, dass mir der am Abend auf der Sarah Wachhabende später sagte, dass er sich zur Sicherheit an uns gehängt habe… frei nach dem Motto: „Der da vorne weiß sicher, was er tut!“ Tatsächlich war es dann so, dass es genau dann wieder begann heller zu werden, als ich der Sarah hinterher fuhr.

Erste richtige Eisberge!

Um 4:30 Uhr war ich nur kurz unter Deck, wurde beim Hochkommen ins Cockpit dann aber auf unglaubliche Weise empfangen. Direkt am Steuerbordheck (also keinen Meter daneben!) tauchte ein hell-dunkler Walrücken mit langer Finne auf. Orca!

Insgesamt waren es 3-4 Schwertwale, die einige Minuten mit unserem Boot schwammen, immer mal wieder auftauchten und auch der Sarah voraus einen Besuch abstatteten (… dem derzeit Wachhabenden wurde die Geschichte bis zu unserer Bestätigung nicht geglaubt!). Unsere Mädels waren zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht erweckbar, aber Samuel hatte ich aus dem Bett bekommen, so dass auch er (ob der Eile selbstredend viel zu leicht bekleidet) diese auch in der Antarktis eher seltenen Begleiter beobachten konnte.

Der Rest der Fahrt verlief recht ereignislos. Maila war natürlich etwas betrübt darüber, die Schwertwale verpasst zu haben, wurde aber kurz vor unserer Ankunft mit ein paar Mink- oder Buckelwalen (die sind echt nicht leicht auseinander zu halten, wenn sie nicht gerade direkt neben dem Boot schwimmen) getröstet. Bei Enterprise Island lag dann natürlich auch wieder ein Kreuzfahrer, der sich durch die zwei ankommenden Segelboote offensichtlich massiv in seinen „Operations“ (aka Touristenbespaßung) gestört fühlte, doch davon ein anderes Mal im Rahmen meiner IAATO-Notizen mehr.

Nach gut 100sm lagen wir also nicht einmal 21 Stunden nach unserer Abfahrt von Deception Island längsseits an der Governoren, einem hier seit Jahrzehnten vor sich hin rottenden Walfängerwrack. Und da es sich um die beste „Marina“ der Gegend handelt, hatte wir schon kurz danach die „Spirit of Sydney“ längsseits im Päckchen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nachtrag: Ich hatte zurück in Ushuaia echt lange erfolgos versucht herauszufinden, was dieses Glibberzeug mit roten Kernen denn sein kann. Doch erst meine Frage an Henk brachte die Antwort: Salp… genauer gesagt das in antarktischen Gewässern lebende „Salpa thompsoni“. Wir sind ihnen recht oft begegnet, doch das ist auch ein Problem. Viel Salp bedeuted weniger Krill… also weniger von DER Grundlage des reichen antarktischen Lebens. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie in der Natur alles zusammenhängt… und umso trauriger, wie der Mensch seine nicht selten zerstörerischen Spuren hinterlässt.

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