Hafenkino in Puerto Deseado

Als „Hafenkino“ bezeichnet der Wassersportler die oft kurzweilige Show, welche andere Wassersportler mit Ihrem Boot in den geschützten Armen eines Hafens aufführen. Eines ist dabei SEHR wichtig… es wird beobachtet, bei Bedarf natürlich auch geholfen, gerne auch mal verwundert der Kopf geschüttelt, aber es wird niemals gelästert oder über die beobachteten Manöver hergezogen. Fast(!) 100% gehen schließlich ohne Schaden an Boot, Steg oder Mensch zu Ende… da heißt es dann einfach: „Sonnenbrille aufsetzen und lächeln… das war genau so geplant!“. Und für ausnahmslos jeden Skipper gilt die gnadenlose Gewissheit, dass es irgendwann auch ihn (bzw. sie) treffen wird. Bei diesem Programm ist wirklich jeder mal der Hauptdarsteller.

In Puerto Deseado waren wir dran!

Der erste Anleger war kein Thema, doch kaum lagen wir fest, sollten wir uns auch schon wieder verholen. Nun gut, also einmal um die Ecke… wir hatten sogar jemanden an Land, der die Leine annahm. Das Problem waren hier dann nur Strom und Wind sowie der schmale Eckplatz. Es war nicht glorreich, vielleicht ein Kurzfilm im Programmhafenkino, aber schön ist auch anders. Irgendwann hatten wir uns endlich zurecht gezogen. Lediglich der Umstand, dass wir zumindest bei Hochwasser zur angesagten Starkwindrichtung relativ offen lagen war nicht so toll. Wenigstens waren wir alleine an dieser Seite des Schwimmpontons.

Das änderte sich jedoch, als ein Schlepper einen russischen Segler mit Motorschaden vorbeibrachte und bei uns längsseits im Päckchen ablud. Hmmm… unsere Fender waren vorher schon nicht begeistert. Immerhin wurden aufgrund der Wettervorhersage sogar Leinen quer über das Wasser zu den weiter in Luv (also der Wind zugewandten Seite) liegenden, großen Fischerbooten gelegt. Aber so richtig glücklich waren wir nicht. Schon jetzt drückte die kurze Welle unangenehm und fendermordend in die Ecke. Auch die am Mittag noch am Kopf des Pontons gelegenen Yachten hatten sich inzwischen auf die Lee- (also windabgewandte) Seite verholt… sogar der Schlepper, der uns vorher noch weggeschickt hatte, nahm jetzt Segelboote längsseits. Wir lagen immer noch in Luv.

Und am Abend kam dann noch ein Ortsansässiger von den nebenan gelegenen „Darwin Expediciones“ vorbei. Mit Blick auf unseren Liegeplatz sagte er recht überzeugend: „It’s not safe here!“ Damit war die Entscheidung gefallen. Gegen 21 Uhr erklärten wir den anderen Seglern, dass wir jetzt ablegen und uns auf der anderen Seite des breiten Flusses vor Anker legen würden. Da zeigte sich mal wieder die Solidarität unter Seglern. Keiner murrte rum, schon gar nicht das Boot neben uns, sondern jeder zeigte Verständnis und bot Hilfe an.

Der Plan war, dass wir vorwärts rausfahren und dabei unseren Päckchenlieger (ohne funktionierenden Motor) solange stabilisieren, bis er seine Leinen an Land hatte. Doch da machten wiedereinmal Wind und Strom einen Strich durch die Rechnung… in Sekundenschnelle wurden wir um 90° nach Backbord gedreht und lagen am Kopf des Pontons fest… bei 4-5 Bft. auflandigen Wind.

Am lockersten war da noch der Russe: „I’m ok… help him!“. So lagen wir nun auf die Reifen gedrückt, hatten noch ein paar Leinen an Land, der Wind drückte, sollte in der Nacht noch deutlich zunehmen und ja, es war natürlich auch schon dunkel. Dazu kam dann noch das Sprachgewirr der internationalen Hilfstruppe, in dem sich Französisch mit brasilianischem Portugiesisch und Fremdsprachen-Englisch munter mischten.

In diesem gefühlte Chaos bereiteten wir dann das einzig sinnvolle Manöver in dieser Situation vor: Eindampfen in die Vorspring! (Hallo Thomas!)

Leinenkauderwelsch…

Einschub für alle Nicht-Segler: Bei dem Ablegemanöver „Eindampfen in die Vorspring“ belegt man eine lange Leine vom Bug des Bootes (also vorne) nach hinten an Land. Das ist eine sogenannte Vorspring. Sie sollte am Steg schon mindestens auf Höhe der Schiffsmitte, gerne noch weiter hinten fest sein. Ist das erledigt, dann legt man das Ruder so, als wenn man von Land wegfahren möchte und gibt mit der Maschine kräftig Schub. Damit „hängt“ man mit dem Boot ziemlich stabil in der Leine. Wenn man nun das Ruder auf die andere Seite legt, also so, als wenn man mit dem Boot in den Steg brettern möchte, dann passiert etwas wunderbares: das Heck des Bootes entfernt sich vom Steg (… ein Fender am Bug kann dabei durchaus nicht schaden!) Mit entsprechendem Schub bekommt man damit sein Hinterteil sogar bei kräftigem Seitenwind einige (wenige) Meter weit weg. Dann kommt der kritische Moment. Der Rudergänger legt das Ruder mittig und gleichzeitig den Rückwärtsgang ein. Parallel dazu wird die Spring losgeworfen und das Boot fährt rückwärts weg. Mit etwas Geschwindigkeit im Boot hat man dann auch Ruderwirkung und kann sich aus der Gefahrenzone entfernen.

La Skipper legte also die Spring, der Brasilianer verstand und übernahm die Landseite, der Skipper gab Schub vorwärts und alle anderen Leinen wurden gelöst. Leider waren nicht alle Hilfskräfte gedanklich bei uns. Es wurde weiter gezogen, gerufen, gewarnt… doch das war dem Skipper am Ruder in diesem Moment herzlich egal. Das Heck war soweit weg, dass wir an dem Russen hinter uns vorbei kommen müssten, also ging der Blick nach Brasilien und es gab einen harten Countdown: five – four – three – two – one – engine back!

Was soll ich sagen… unser Filmbeitrag zum Hafenkino hatte ein kitschiges Happy End! Wir kamen gut weg, Freude und Winken an Bord und an Land (… letzteres vielleicht auch nur, weil wir jetzt endlich weg waren?!) So setzten wir die virtuelle „Das war genau so geplant!“-Sonnenbrille auf und machten uns davon zu unseren einsamen Ankerplatz gegenüber…

Blick vom Ankerplatz nch Deseado… die anderen Segler liegen links vom Seezeichen.

Epilog: Als wir einige Tage später zurück an den Ponton kamen, sahen wir die verbogene Reling des Russen. Er lag dann ja (immerhin alleine) an unserem ursprünglichen Platz und der Wind hatte ihm übel mitgespielt. Unter dem Strich war unsere Entscheidung also goldrichtig. Und an dieser Stelle auch nochmal vielen dank an alle Helfer!

Der Russe danach…

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