1./2. August 2022
Ich habe ja schon beiläufig die teils abenteuerlichen Strömungsverhältnisse beim Cap de La Hague erwähnt. Tatsächlich hat die gerade einmal 8sm breite Passage zwischen dem Cap und der Kanalinsel Alderny sogar einen eigenen Namen erhalten: The Alderney Race.
Der ebenfalls schon erwähnte Reeds warnt eindrücklich vor den „very strong tidal streams“ sowie stellenweise „breaking seas and heavy overfalls“. Wobei Letztere bei entsprechenden Wetterbedingungen gerade zu Springzeiten praktisch überall in der Passage auftreten können. Zum Glück ist es aktuell eher windarm. Trotzdem wollen wir nicht auf der Stelle motoren, sondern am Cap „vorbeirauschen“. Timing ist alles, mit einer 150sm-Anfahrt aus Brest aber praktisch nicht planbar. Bei unserer Anfahrt auf Alderney am späten Nachmittag ist es gerade denkbar ungünstig. Es strömt uns schon hier unangenehm entgegen. Zeit für einen ersten Boxenstopp.


Angeberwissen: Die Kanalinseln gehören nicht zu Großbritannien sondern sind aufgeteilt in die zwei „Bailiwick“ von Guernsey und Jersey als sogenannter Kronbesitz direkt dem englischen Königshaus unterstellt. Das entspricht im Deutschen dem reichlich angestaubten Konzept einer Vogtei, die jedoch mangels Vogt direkt dem Herrscherhaus unterstellt ist. Sozusagen gelebtes Mittelalter, allerdings mit modernen Folgen. Die Kanalinseln waren niemals Teil der EU. Ihre ich sage mal „attraktive“ Gesetzgebung sorgt dafür, dass der Finanzsektor gut 40% der Wirtschaftsleistung ausmacht. Auch prägen die beiden Vogteien jeweils(!) ihr eigenes Geld, genauer gesagt ihre eigenen Guernsey- bzw. Jersey-Pfund. Diese werden in Großbritannien allerdings selten angenommen, so dass man vor Ort tunlichst auf die meist akzeptierten britischen Pfund zurückgreifen sollte. Der Umrechnungskurs ist selbstredend 1:1. Na wer es braucht…
Im Südosten von Alderney finden wir die Longy Bay. Dicht unter der Küste tasten wir uns im gegenläufigen Neerstrom voran. Wir haben gerade Niedrigwasser. Der Großteil der Bucht fällt trocken. Entsprechen klein erscheint sie uns. Doch abgesehen von einer Handvoll verwaister Moorings mit der abweisenden Aufschrift „private / privé“ sind wir alleine. Der Anker fällt auf 3m Wassertiefe. Zeit zum Abendessen. Zeit für Entspannung.

Vier Stunden später ist die Bucht nicht wiederzuerkennen. Augenscheinlich hat sich ihre Größe vervielfacht. Kein Wunder. Der Anker liegt inzwischen auf über 6m Wassertiefe. All die unschönen Steine lauern unsichtbar unter der Wasseroberfläche und am nun plötzlich winzigen Strand liegen die zwei kleinen Boote nicht mehr hoch und trocken, sondern schwimmen bereit zur Abfahrt.



Auch für uns ist es Zeit zur Abfahrt. Das Alderney Race steht bevor. Direkt nach der Ausfahrt beschleunigen wir bei eigentlich gemächlicher Motorfahrt spontan auf 9kn Geschwindigkeit über Grund. Die Wasseroberfläche kräuselt sich in seltsamen Mustern, die immer wieder von runden, obskur glatt gewalzten Stellen und sonstigen Wirbeln unterbrochen sind. Dabei steuern wir augenscheinlich direkt auf die Küste zu. Doch das täuscht. Bei gut und gerne 6 kn Gezeitenstrom von der Seite haben wir einen Kursversatz von bis zu 50 Grad. Das ist so, als wenn du mit dem Auto in die Garage steuerst, aber das Haus triffst.

Direkt am Cap de la Hague schüttelt es uns dann durch. Trotz des aktuell ruhigen Windes sorgen kurze Wellen ohne erkennbares Muster für reichlich Unruhe im Boot. Nicht auszudenken, wie das hier bei Sturm aussehen mag. Doch der Spuk währt nicht lange. Kaum ist das Kap passiert, schiebt der Strom von hinten und wir rauschen über deutlich ruhigere See unserem zweiten Boxenstopp entgegen.
Cherbourg hat einen bemerkenswerten Hafen. Die Außenmauer streckt sich fast 4sm über die große Bucht und bildet eine geschützte „Grande Rade“. Dahinter liegt, von einem weiteren Wall geschützt, der Innenhafen. Knapp die Hälfte ist gesperrtes Militärgebiet. Die große Marina bietet Platz für über 1.500 Boote. Doch wir wollen nicht verweilen, sondern Allures Yachting einen Besuch abstatten. Ja, genau hier wurde unsere Samai vor inzwischen sieben Jahren fertiggestellt und erstmals zu Wasser gelassen. Wir suchen im kommerziellen Teil des Hafens den Steg, an dem ich sie das erste Mal betrat. Spontan verlernen wir sämtliche Französischkenntnisse und ignorieren dreist das angebrachte Schild, auf dem wohl irgendwas von „reserviert für… nun ja, definitiv nicht uns“ steht. Noch ein Anlegerbier und gute Nacht.
Am nächsten Morgen stehe ich bei Allures im Büro. Es geht jedoch nicht um einen netten Plausch. Für so etwas hat hier niemand Zeit. Ich brauche einem kompletten Satz neuer Anoden. Das sind die verzichtbaren Metallteile, die durch ihr Opfer die Korrosion von weniger verzichtbaren Metallteilen verhindern. Für dieses Ansinnen nimmt Christoph sich dankenswerter alle Zeit der Welt. Tatsächlich bekomme ich wider Erwarten nicht nur Anoden für Aluminiumrumpf und -schwert (Allures), sondern auch für den Propeller (Gori) und sogar den Saildrive (Volvo). Dazu noch ein paar bisher nie getauschte Kleinteile. Und das alles für einen (zumindest relativ betrachtet) erstaunlich günstigen Preis. Dieser Boxenstopp hat sich gelohnt. Vielen Dank!

Kaum zurück an Bord, legen wir dann auch schon ab. Wir wollen die wohlwollende Ignoranz der Stegverantwortlichen nicht überstrapazieren. Außerdem kippt gerade der Strom zu unseren Gunsten. Wir müssen weiter zu unserem nächsten planmäßigen Stopp in den Niederlanden…

Ein Gedanke zu „Boxenstopps beim Alderney Race“