Autofahren in Deutschland

Viele von euch sind sicher aktiv Teilnehmende am und im deutschen Straßenverkehr. Was kann ich da schon Interessantes zu erzählen? Nun ja… nach drei Jahren Auszeit rund Südamerika vielleicht eine andere Perspektive?!?

Es gibt einen modernen Fuhrpark…

Schon auf der ersten Fahrt von Kühlungsborn nach Berlin fällt sogar den Kindern auf wie sauber und gepflegt, augenscheinliche neu sowie in der Regel beulenfrei die Autos hier so sind. Das sind wir so tatsächlich nicht mehr gewohnt. Das, was auf deutschen Straßen die verbeult-rostende Ausnahme ist, war für uns in den letzten Monaten eher der Regelfall.

In diesem Zusammenhang fällt auch die in den letzten drei Jahren offensichtlich sprunghafte gestiegene Anzahl von E-Kennzeichen auf. Gerade diese amerikanische T-Marke von Herrn M. ist zumindest in Berlin auffällig oft auf der Straße anzutreffen. Das gilt ebenso für die kurz nach unserer Abfahrt eingeführte ID-Serie des großen deutschen Autobauers, die wir hier erstmals sehen.

Sollte Deutschland tatsächlich klammheimlich Schritte in eine elektrofreundliche Zukunft der Verkehrswelt unternommen haben?!?

Es gibt neue Schilder…

Wir haben an dieser Stelle ja schon hin und wieder von Verkehrsschildern berichtet, die wir so noch nicht kannten. Doch was soll ich sagen?! Kaum zurück in Deutschland fällt uns in Berlin schon wieder ein Schild auf, das wir so noch nicht kannten. Erstmals sehen wir eines der 2020 neu eingeführten Verkehrszeichen für Radfahrer.

Sollte Deutschland tatsächlich klammheimlich Schritte in eine fahrradfreundliche Zukunft der Verkehrswelt unternommen haben?!?

Es geht ordentlicher zu…

Wir Deutsche (Achtung: Vorurteil?!) haben ja nicht ganz zu Unrecht den weltweiten Ruf, eine gewisse Tendenz zu Regeln und deren Befolgung zu haben. Wir mögen es halt schön ordentlich, Das gilt natürlich auch für den Straßenverkehr. Spurtreue ist selbstverständlich. Hin und wieder wird sogar der Blinker gesetzt. Selbst beim Abbiegen! Das Gros fährt augenscheinlich gesittet und ordentlich durch eine von unzählbar vielen funktionierenden Ampel, einem Schilderwald, automatischen Verkehrsleitsystemen und beschrifteten Straßen in geregelte Bahnen geführten Straßenverkehr. Fast schon vorbildlich?!

Es geht aggressiver zu…

Doch den Anschein täuscht. Die Anzahl der gerade noch so bei „Kirschgrün“ über die Kreuzung bretternden Fahrzeuge ist nicht geringer als anderswo. Gefühlt eher im Gegenteil. Auch die Sache mit dem Abstand ist gerade auf den Autobahnen ein von schnelleren Fahrzeugen gern genutztes Mittel, einem Wunsch nach „freier Fahrt für freie Bürger“ Ausdruck zu verleihen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass alle Drängler einfach nur schnell auf Klo müssen, um nicht in die teuren Sitze zu … ;-)

In diesem Zusammenhang spielt sicher auch der Umstand der obligatorischen Haftpflicht- und häufig vorhandenen Vollkaskoversicherung eine Rolle. In Ländern wo der Versicherungsstatus anderer Verkehrsteilnehmer unklar ist, steigt die Motivation zur Vermeidung von Schäden, auf denen man ggf. selbst sitzen bleibt.

Beispiel: Ein Kleinlaster steht am Straßenrand. Um zu passieren muss ich halb auf die Gegenspur, die jedoch breit genug ist, neben dem Hindernis noch den Gegenverkehr und mich durchzulassen. Das kommt überall mal vor. In den letzten Monaten war das auch nie ein Problem. Der Gegenverkehr fährt einfach etwas weiter am Rand und man grüßt einander. Ganz entspannt. Anders vorletzte Woche hier in Berlin. Der Gegenverkehr bleibt stur in der Mitte, macht aus der Ferne Lichthupe, in Hörweite dann die normale Hupe und reißt in letzter Sekunde wutentbrannt am Steuer, um die notwendigen 20cm auszuweichen. Ohne Worte. Mit dieser Einstellung wären die kurvigen Bergstraßen Südamerikas ein einziger, großer, unpassierbarer Friedhof… nicht nur für Autos!

Es wird anders gehupt…

Überhaupt die Hupe. Sie wird weltweit gerne und ausgiebig genutzt. Allerdings gibt es Unterschiede beim Verwendungszweck. In Südamerika kündigt man damit oft einen beginnenden Überholvorgang an. „Achtung, pass auf, ich überhole von hinten und möchte, dass wir beide unfallfrei aus dem Manöver rauskommen.“ Täte man das in Deutschland, so verstünde der oder die Überholte sicher eher: „Hey, schleichender Idiot, mach endlich Platz für Autofahrer, die schneller und einfach geiler sind als du!“ Und genau so wäre es meist wohl auch gemeint. ;-)

Noch schlimmer ist ja, wenn man es wagt zu bremsen, um einen abbiegenden Gegenverkehr durchzulassen. Schließlich könnte man ja selbst mal so stehen und auf diese freundliche Geste des Miteinanders hoffen. Doch wie kann man es nur wagen? Immerhin entschädigen die lustig-verzerrt-schimpfenden Gesichter, welche man in solchen Situationen oft im Rückspiegel erkennen kann, für den Schrecken der dröhnenden Hupe, die aus dem gerade meinen Kofferraum besuchenden Kühlergrill schrillt.

Beispiel: rote Ampel wird grün. Nirgendwo anders auf der Welt wird man so oft von hinten angehupt, weil der Wagen sich auch ganze 0,42s nach Grün noch nicht bewegt hat. Mäp, määp, määääääp. Gerade hier in Berlin. Das passiert natürlich auch in anderen Ländern, aber bilde ich mit wirklich nur ein, dass das Signalhorn dort erst deutlich später und weniger aggressiv tönt?!

Überhaupt wird das in Deutschland so selten zu erlebende Phänomen des „freundlichen Hupens“, beispielsweise bekannter Menschen am Straßenrand andernorts intensiver zelebriert. Schade eigentlich, denn selbst wenn das vor mir fahrende Fahrzeug dann für einen schnellen Plausch mit einer Freundin abbremst, kann man entspannt bleiben… und natürlich hupen… um freundlich den eigenen Überholvorgang anzukündigen.

Fazit…

Wir sind in den letzten Monaten und Jahren in vielen Ländern Auto gefahren, die den Ruf eines chaotischen, ja gefährlichen Straßenverkehrs haben. Von den bisher nicht angesprochenen, in Deutschland wirklich hervorragenden Straßenverhältnissen mal ganz zu schweigen. Dieser Ruf ist auch oft alles andere als unbegründet. Und doch war es dort für mich zu allen Zeiten entspannter zu fahren, als im Berliner Stadt- und insbesondere Berufsverkehr. Nach meinem Gefühl besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass es in Deutschland nur selten darum geht, miteinander heile und unfallfrei durch den Verkehr zu kommen. Hier scheint es mir oft ein Wettbewerb zu sein. Das eigene Behaupten in einer mutmaßlichen Hackordnung des Straßenverkehrs. Was ist das anstrengend! Dabei wollen wir doch eigentlich alles dasselbe: Sicher ans Ziel!

Ich habe mir geschworen, auch nach unserer Rückkehr eine gewisse Gelassenheit zu bewahren. Der Straßenverkehr ist in dieser Hinsicht die ultimative Herausforderung. Immer wieder ertappe ich mich dabei, in alte Muster zurückzufallen. Dann hilft nur, tief durchzuatmen. Ruhig. Alles gut.

¡Siempre tranquilo!

P.S. In der Übertreibung liegt die Anschaulichkeit! :-)

Schule und Beruf

Montag, 22. August 2022

Nicht einmal eine Woche nach unserer gerade noch rechtzeitigen Rückkehr beginnt für die Kinder wieder der Ernst des Lebens: Schulanfang.

Maila kommt in ihre alte Grundschule (die in Berlin standardmäßig bis zur 6. Klasse geht), ja sogar ihre alte Klasse zurück. Ihre alte und neue Klassenlehrerin sowie das Wiedersehen mit besten Freundinnen macht ihr den Einstieg leicht. Trotzdem muss sich noch einiges „zurechtrütteln“. Drei Jahre komplett unterschiedliche Lebenswege gehen nicht spurlos vorbei. Themen, die auf dem Schulhof gerade interessant sind, führen bei Maila eher zu Langeweile. Aber das wird schon.

Für Samuel ist es in der 10. Klasse auf dem Gymnasium dagegen ein kompletter Neuanfang. Ihn empfangen eine neue Schule mit neuer Klassenlehrerin und eine neue Klassengemeinschaft. Zu unserer großen Freude hat er gerade mit letzterer Glück. So schön, nach seinen eher durchwachsenen Erfahrungen in der Grundschule. Insgesamt gestaltet sich Samuels Schulstart, über den wir uns so einige Gedanken gemacht haben, fast noch reibungsloser als bei Maila.

Insbesondere zerstreuen sich auch sehr schnell die Bedenken, dass sie mit dem Schulstoff Probleme haben könnten. Maila kommt sehr gut mit und trifft vor allem bei den für Ihre Mitschüler neuen Englisch-Vokabeln viele alte Bekannte. Bei Samuel ist es noch erstaunlicher. In mehreren Fächern werden jetzt zu Beginn der 10. Klasse Themen behandelt, die wir im letzten Jahr an Bord schon durchgenommen haben.

Donnerstag, 1. September 2022

Nur wenig später steigt auch La Skipper in ihren neuen Job ein. Nach einem Online-Bewerbungsgespräch aus Südamerika und einem persönlichen Kennenlernen direkt am Tag nach unserer Rückkehr kommt nun der Sprung ins kalte Wasser. Halb zog es sie, halb sank sie danieder. Obwohl das metaphorische Wasser ja nicht wirklich kalt ist im Waldkrankenhaus Spandau. Netter Chef und nette Kolleginnen (jeden Geschlechts natürlich ;-). Am Anfang ist der Arbeitsalltag noch ausgesprochen regelmäßig. Weder im September noch im Oktober gibt es irgendwelche Dienste zu kreativen Zeiten. Im Grunde ein angenehmer Start.

Obwohl das ja nicht alles ist. Schon kurz vor ihrem Beginn und auch danach übernimmt Sandra wieder KV-Dienste. Diese schon vor unserer Abfahrt gepflegte Angewohnheit bringt Abwechslung und Budget für die Samai.

5. September 2022

Tja und was ist mit dem Skipper? Nach einem ersten „Call“ (so nennt man das heutzutage wohl ;-) steht ein 3-tägiger Besuch bei einem lieben Stammkunden auf dem Programm. Parallel ist da die Anfrage eines Vermittlers. Klingt nach einem interessanten Teilzeit-Projekt. Letztlich wird aus dem allseits bekannten „ASAP“ (also alles muss so schnell wie möglich sein) mehr als eine Woche Warten auf die Info, dass der Kunde das Thema nun doch intern angehen möchte. Heiße Luft.

20. September 2022

Doch es schält sich auch eine mittelfristige Perspektive heraus. Nach vielversprechendem Austausch mit einem lieben Ex-Kollegen und Freund sieht es so aus, als ob der Skipper für die nächsten Jahre wieder die Fronten wechselt. Nein, ich gehe nicht „in die Linie“, sondern bleibe dem Beratergeschäft treu. Aus mehreren Gründen jedoch nicht mehr (primär) als Freiberufler, sondern in Festanstellung. Wie es sich aktuell darstellt, wäre das eine klassische Win-Win-Situation.

So können, dürfen und müssen wir mit einer gewissen Erleichterung festhalten, dass der Wiedereinstieg in Schule in Beruf überraschend entspannt verläuft. Vielleicht hängt das ja auch damit zusammen, dass wir – Achtung: tierisches Outing – eine „Katzenfamilie“ sind. Und Katzen fallen ab einer gewissen Fallhöhe ja bekanntlich immer auf die Füße… oder?

Miau! ;-)

Zu Hause?!

27. August 2022

„Willkommen zu Hause!“ Diesen Satz haben wir in letzter Zeit einige Male gehört und gelesen. Drei einfache Worte. Und doch so schwierig. Die erste Woche in Berlin, unserem alten und wohl auch neuen zu Hause ist wenig überraschend recht hektisch.

Erster Punkt auf der langen Liste ist eine Shopping-Tour. Insbesondere die Kinder brauchen neue Klamotten. So wie sie im Bordalltag herumlaufen, können wir sie echt nicht in die Schule schicken. Auch der Skipper könnte mal eine neue Hose brauchen. Spandau-Arkaden am Samstag. Gleich das volle Programm. Doch wir werden fündig. Abgehakt.

Ansonsten steht das erste Wochenende in Berlin im Zeichen des Ankommens. Vor der Abfahrt hatten wir unsere Wohnung gekündigt. Die Suche nach einer neuen Unterkunft ist ein eigenes Thema. Bis dahin besetzen wir das Dachgeschoss meiner Eltern. Da ist es zwar recht groß, zumal wir ja doch eine eher beengte Umgebung gewohnt sind. Es sind aber halt doch nur zwei Zimmer für eine 4-köpfige Familie. Trotzdem gilt unser uneingeschränkter Dank meinen Eltern, ohne die wir aktuell in Berlin ohne (bezahlbares) Dach über dem Kopf dastehen würden.

Tief unter diesem Dach ist auch der von uns ziemlich vollgestopfte Keller. Über 70 Umzugskartons und manch anderes Zeug von uns steht hier die letzten Jahre herum. Zum Glück habe ich größtenteils mitgeschrieben, was wo steht. So finden wir die wichtigsten Dinge tatsächlich recht schnell. Dazu gehören insbesondere auch die PINs der EC-Karten. Die kann man schon mal vergessen, wenn drei Jahre lang alles nur mit Kreditkarte läuft.

Wer suchet, der findet… manchmal :-)

Der Rest unserer Sachen ist südlich von Berlin ist in Großbeeren eingelagert. Hier hat sich während unserer Abwesenheit allerdings der Zugang geändert, so dass wir da erst einmal gar nicht rankommen. Erst für die nächste Woche habe ich einen Termin bekommen, um die nun notwendige App vor Ort zu registrieren.

Ganz oben auf unserer 2do-Liste steht die Bürokratie. Vor drei Jahren haben wir (nachhaltig inspiriert vom Berliner Schulamt ;-) Samuel und Sandra aus Deutschland abgemeldet. Nun müssen wir sie wieder anmelden. Gerade auch vor dem Hintergrund von bevorstehendem Schul- und Arbeitsbeginn. Also gehen wir gleich am Montag zum Bürgeramt. Manch einer mag sich verwundert fragen, wie wir so kurzfristig an einen Termin gekommen sind?! Ganz einfach. Den haben wir online schon vor ca. 2 Monaten genau an dem Tag reserviert, als die Termine dieser Woche freigeschaltet wurden. Und wir sind ja lernfähig. Als wir vor unserer Abfahrt in einem Termin mehr als einen Vorgang erledigen, also mehrere Pässe beantragen wollten, wurde gefragt ob wir denn auch jeweils einen Termin dafür hätten. Damals nein, heute ja. Erster Termin zur Anmeldung von Sandra, eine gute halbe Stunde später ein zweiter Termin zur Anmeldung von Samuel und knapp zwei Stunden später (allerdings in einem anderen Bezirk) ein dritter Termin für das benötigte Führungszeugnis von Sandra. Wir treffen allerdings auf eine sehr nette Kollegin auf der anderen Seite des Schreibtisches, die gerne alles auf einmal für uns erledigt. Tolle Erfahrung auf dem Amt.

Ausräum-Chaos an Bord der Samai.

In der heutigen Zeit auch nicht ganz unwichtig ist das Handy-Thema. Die Familie hat vier einzelne Prepaid-Verträge mit entsprechenden (insbesondere online-)Gebühren. Diese sollen irgendwie harmonisch möglichst in einem gemeinsamen Vertrag (mit ausreichend Datenvolumen) zusammengeführt werden. Natürlich ohne die Rufnummern zu verlieren. Mit gemischten Gefühlen gehe ich zu dem „Servicepoint“ im Schloss… kein wilhelminischer Prachtbau, sondern ein Einkaufszentrum am östlichen Ende der Steglitzer Schlossstraße. Hier hatte ich zwar mal eher schlechte Erfahrungen gemacht, aber es liegt halt günstig in Schulnähe. Und Heute habe ich echtes Glück mit einem sehr netten Kollegen. Nach seiner kompetenten Beratung komme ich technisch mit dem heraus, was ich will und bezahle dafür einiges weniger als befürchtet bzw. erwartet. Ein paar Tage später ist alles erledigt. Endlich sind wir auch unterwegs ohne WLAN wieder online und müssen uns beim Telefonieren keine Gedanken über das Restguthaben machen. Tolle Erfahrung mit dem Mobilfunkanbieter.

Bordapotheke, wenn man mit einer Ärztin segelt…

So fliegt eine hektische Woche dahin. Am Wochenende werden dann die Kinder an die Großeltern „verkauft“ und die Eltern fahren nach Kühlungsborn zu unsere Samai Wir wollen ein paar Sachen erledigen und nicht zuletzt weiter ausräumen. In den drei Jahren hat sich echt einiges angesammelt… aber das erwähnte ich ja schon. ;-)

Auch wenn nicht jede überlebt hat…
… wären wir wohl so schnell nicht verhungert.

So sitze ich also gut eine Woche nach Ende unserer kleinen Rundreise wieder in meiner Navi-Ecke. Alles ist vertraut und doch ungewohnt. Ein bisschen Wehmut liegt in der Luft und durch den Kopf schlingert diese alte und doch immer wieder neue Frage… die nach dem eigenen zu Hause…

Ankunft in Kühlungsborn

17.-19. August 2022

Nun ist es also soweit. Der Morgen vor unserem letzten Abschnitt. Er empfängt uns diesig-grau. Gespenstisch erhebt sich die Sonne. Irgendwie passend. Nun gut, hilft ja alles nichts. Kurz nach neun Uhr geht der Anker auf. Wenig später fahren wir nach über drei Jahren wieder unter der Fehmarnsundbrücke durch. Dieses Mal in östliche Richtung. Das Abenteuer liegt nicht mehr voraus, sondern hinter uns. Spannend und anstrengend wird es trotzdem bald sein. Nicht heute. Kein Wind. Motorfahrt. Auch irgendwie passend.

Zumindest klart es recht zügig auf. Ein paar Stunden später kommt Kühlungsborn in Sicht. Unser Heimathafen. Die Strand ist brechend voll. War das früher auch schon so? Wir passieren die Seebrücke. Präsentieren stolz unsere Flaggenparade. Über dem Vordeck wehen alle Gastlandflaggen der von uns besuchten Länder und Regionen.

Irgendwie ist das alles hier vertraut und doch wieder fremd. Die Hafeneinfahrt kam uns früher irgendwie enger vor. Auch der Platz zwischen den Stegen erscheint uns erstaunlich großzügig bemessen. Perspektivenwechsel.

Wir werden schon erwartet. Am Kopfsteg stehen freudig winkend die Großeltern. Kleine, von irgendeinem Silvester übrig gebliebene Handfeuer kämpfen tapfer gegen das Tageslicht. Wir selbst verzichten auf das beim Zieleinlauf von Ozeanrennen oft praktizierte Ritual. Ein letztes Mal gehen die Leinen über und schon ist sie vorbei… unsere kleine Rundreise. Wie die Zeit doch fliegt. Große Freude und Dankbarkeit, dass wir uns alle nach drei Jahren gesund und munter wieder in die Arme schließen können. Augen werden verwundert gerieben ob der kaum wieder zu erkennenden Enkel. WhatsApp-Video ist das eine. Live und in Farbe etwas anderes.

Viel Zeit für die Willkommensfeier bleibt leider nicht. Gleich heute Abend fährt La Skipper runter nach Berlin. Morgen früh hat sie ein Termin in ihrem neuen Krankenhaus. Ist schon verständlich, dass ihr zukünftiger Chefarzt den Neuzugang gerne selbst begrüßt, bevor er erst einmal in den Urlaub fährt. Der Rest der Crew verbringt den Abend in der Ferienwohnung meiner Eltern. Ausklang natürlich an Bord unserer Samai.

Der nächste Tag lässt keine Zeit für Müßiggang. Die Kinder verabschieden sich gleich nach dem Frühstück zu den Großeltern und der Skipper fängt an zu räumen. Wir haben drei Jahre praktisch ausschließlich an Bord gelebt. Als Familie mit zwei Kindern. Da sammelt sich einiges an. Zumal wir ja für jedes Klima ausgerüstet sein mussten. Ich zerre alle Taschen raus, räume die Schränke aus. Die Schulsachen haben auch unerwartet viel Platz eingenommen. Unter Deck wächst das Chaos. Im Cockpit sammelt es sich. Ich packe so viele Zeug zusammen, wie mutmaßlich in den Sharan passt. Natürlich wird es mehr. Natürlich quetsche ich trotzdem alles in den Wagen. Das jahrelange Tetris-Training meiner späten Schul- und frühen Studienzeit trägt Früchte… remember „Gameboy“?! ;-)

Am Freitag ist es soweit. Die Schotten sind dicht, die Leinen noch einmal kontrolliert. Ein letztes Klopfen an den Bugspriet. Dann kehren wir unserer Samai den Rücken. Nicht für eine Rundreise, nach der wir wieder zurück an Bord kommen. Wir ziehen aus. Bis auf Weiteres. Mindestens für eine sehr, sehr lange Zeit. Ja natürlich kommen wir zurück. Schließlich werden wir das Boot nicht verkaufen. Das würden wir nicht übers Herz bringen! Trotzdem kommen wir ab jetzt nur mehr zu Besuch. So fühlt es sich an. Ein komisches Gefühl. Zu Hause…

Von der Nord- in die Ostsee

15./16. August 2022

Wir sind also tatsächlich wieder in Deutschland angekommen und liegen im Burkana Hafen im Süden von Borkum. Hier war ich schon einmal 2015 bei der Überführung unserer damals brandneuen Samai von Frankreich nach Deutschland kurz drin. An die Liegeplätze für Segler kann ich mich nicht erinnern. Ist ja auch schon ein paar Jahre her. Doch trotz der neuen(?) Plätze reicht der Platz kaum. Wir gehen als drittes Boot ins Päckchen und werden sogleich von unserem Nachbarn auf seine morgige Abfahrzeit hingewiesen: 6:30 Uhr. Wenn ein Innenlieger im Päckchen losfährt, müssen die Außenlieger Platz machen. Im Grunde passt das aber ganz gut. Damit steht nun auch unsere Abfahrtszeit fest. Sehr zum Leidwesen des vierten Päckchenliegers, der noch längsseits geht. Die Crew kommt erst spät zurück an Bord, ist aber nach kurzem Anklopfen zum Sonnenaufgang schnell draußen um Platz zu machen.

Burkana-Hafen Borkum
Die andere Seite von Borkum

Eigentlich hoffen wir ja darauf noch ein paar Meilen segeln zu können. Das ist in der Nordsee mit ihren oft westlichen Winden eigentlich nicht zu viel verlangt. Heute schon. Wir haben leider keine Zeit, um auf die perfekten Bedingungen zu warten und freuen uns schon darüber, keinen Gegenwind zu bekommen. Dazu sorgt die frühe Abfahrt dafür, dass wir den ganzen Vormittag vom Gezeitenstrom angeschoben werden. So ziehen nach und nach die Ostfriesischen Inseln vorbei… Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und schließlich Wangerooge.

Wangerooge

Zu unserer großen Freude haben wir vor der Ems- und Wesermündung weniger Gegenstrom als befürchtet. Eigentlich versetzt es uns vor allem zur Seite. Die Ebbe verstärkt die Strömung der Flüsse. Damit macht es aber auch absolut keinen Sinn, jetzt schon in die Elbe einzufahren. Wir kämen kaum voran und dürfen als Sportboot ohnehin nicht nachts durch den Nordostseekanal (NOK) fahren. Kurz nach 19 Uhr fällt der Anker vor dem Scharhörner Watt. Gefühlt mitten im Nirgendwo einer weiten Wasserfläche. Einige Fischer gehen ihrer Arbeit nach. Diverse Frachter und Tanker liegen weiter draußen auf Reede. Abendessen. Ausruhen.

Von „malerischen“ Schiffsabgasen vernebelte Windräder in der Wesermündung

Um Mitternacht geht es weiter. Inzwischen strömt die Flut elbeaufwärts. Perfekt für eine schnelle Passage. Die Lichter von Cuxhafen fliegen an Steuerbord vorbei. Nach nur 4½ Stunden erreichen wir den Warteplatz für Sportboote, die bei Brunsbüttel in den Kanal schleusen wollen. Und wir warten nicht lange. Zusammen mit einem anderen gerade eingetroffenen Segler werden wir um 5 Uhr in den Nordostseekanal eingelassen. Das mit den Schleusen haben wir ja gerade in der Staande Mastroute ausgiebig geübt. Klappt.

Noch ist es recht dunkel. Müssen wir in den kleinen Hafen abbiegen? Ich frage über Funk bei der Schleuse, wann im Sinne der NOK-Schifffahrt gerade „Nacht“ ist. Die erfreulich Antwort lautet, dass wir schon in der sog. Tagfahrzeit seien. Ich bin mir aber nicht sicher, ob der Kollege evtl. vergessen hat, die Stunde Sommerzeit auf die in der Tabelle angegeben Zeiten zu rechnen?! Egal. Wir motoren direkt weiter.

Die Passage durch den NOK zieht sich. Knapp 100km quer durch Schleswig-Holstein. Immer wieder teilen wir uns das Fahrwasser mit großen Pötten. Kein Wunder, ist der Nordostseekanal mit über 30.000 Passagen pro Jahr doch die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Das sind mehr Schiffe als im Suez- und Panamakanal zusammen! Aufgrund der Größenbeschränkungen sieht das im Hinblick auf die transportieren Güter jedoch anders aus. Hier liegt der Suezkanal mit weitem Abstand vorne.

Schwebefähre an der Rendsburger Hochbrücke (1913)
Maler gesucht?!

Nach gut 9 Stunden erreichen wir Kiel. Hier bezahlen wir am Wartesteg die seit einigen Jahren für Sportboote erhobene Gebühr und machen dem Namen unseres Liegeplatzes alle Ehre. Wir warten. Aktuell steht nur eine große (immerhin Doppel-)Schleuse zur Verfügung. Der Kanal ist in die Jahre gekommen. Erbaut Ende des 19. Jahrhunderts stammt tatsächlich ein Großteil der heute eingesetzten Technik ebenfalls noch aus dieser Zeit. Da ist es zwar erfreulich, dass in Brunsbüttel in einem laut Eigenwerbung „Jahrhundertbauprojekt“ eine neue große Schleuse gebaut wird. Das bringt nur leider wenig, wenn der Engpass auf der anderen Seite in Kiel bestehen bleibt.

Wir warten. Es hätte so schön sein können. Eigentlich wollen wir doch auch in der Ostsee gleich noch ein paar Meilen machen. Doch die Berufsschifffahrt hat Vorrang. Wir warten. Ganze drei Stunden lang. Dann endlich hat man ein Erbarmen und lässt uns „Kleinvieh“ zu einem der großen Pötte mit in die Schleuse. Am 16. August kurz vor 18 Uhr schwimmt die Samai wieder in der Ostsee.

Gut sechs Stunden motoren wir weiter einmal quer durch die zum Glück gerade ruhigen Schießgebiet der Kieler Bucht Richtung Fehmarn. Gegen Mitternacht tasten wir uns in die große Bucht vor Orth. Ein letztes Mal auf unserer kleinen Reise fällt der Anker.