2.-4. August 2022
Auf diesem verhältnismäßig kurzen Schlag durch zwei Nächte läuft es vielleicht nicht vom Wind, aber vom Strom her ziemlich gut für uns. Direkt vor Cherbourg erwischen wir die kräftige Strömung, die um das nordöstliche Kap der Normandie geht. Beim Skipper werden Erinnerungen wach. Wir haben unsere Samai im Jahr 2015 in Cherbourg abgeholt und nach einem windbedingt kurzen Familienurlaub auf einigen der Kanalinseln ging es darum, das Boot nach Deutschland zu bringen. Leider fand ich damals keinen Mitsegler, so dass ich meine erste einschlägige Einhanderfahrung tatsächlich mit unserem brandneuen Boot machen durfte, bzw. musste. Das war echt eine steile Lernkurve, in deren Kielwasser wir nun auf die letzte Etappe unserer kleinen Auszeit fahren.
Natürlich bremst der Gezeitenstrom am Abend wieder ordentlich aus. Quälend langsam schleichen wir durch die Dunkelheit. Kurz vor Mitternacht überqueren die den Nullmeridian und sind nach gut drei Jahren wieder „im Osten“. Zumindest was diese willkürlich festgelegte Längengradeinteilung der Welt angeht, welche 1884 auf einer Konferenz in… na wo wohl?… genau… der Sternwarte von Greenwich beschlossen wurde.
Am Morgen werden wir erwartungsgemäß schneller. Am frühen Nachmittag nähern wir uns (nun wieder langsamer) der Straße von Dover. Kaum mehr als 30km breit ist diese engste Stelle des Kanals…

Angeberwissen: Ein Kanal mit vielen Namen. Oft wird die Meeresenge zwischen England und Frankreich als „The English Channel“ bzw. bei uns als „Englischer Kanal“ bezeichnet. Ein Name, der wenig verwunderlich besonders in Großbritannien Anklang findet. Wobei hier oft einfach nur vom „Channel“ gesprochen wird. Ist ja klar, welchen man meint. In Frankreich war man zu geschichtlichen Zeiten einer gewissen Rivalität mit dem nördlichen Nachbarn ebenso wenig verwunderlich nicht besonders glücklich mit diesem Namen. Hier heißt er „La Manche“, wörtlich übersetzt „der Ärmel!“. Das erinnert an die deutsche Alternative „Ärmelkanal“, welche von der sich verjüngenden Form inspiriert ist. Im Bretonischen dagegen zeigt man sich ausgesprochen patriotisch. „Mor Breizh“ bedeutet schlicht „Bretonische See“. Ein Kanal mit vielen Namen.
Dann zeigt sich Erstaunliches auf dem AIS. Innerhalb kürzester Zeit laufen über 20 Segelboote aus dem etwas südlicher gelegenen Boulogne-sur-Mer aus. Abgesehen von einem Briten und vier Belgiern ausnahmslos Niederländer. Und sie sind schnell. Erstaunlich schnell für den kaum vorhandenen Wind. Zumindest ausschließlich unter Segeln. Wie auch immer. Der von gut einer Handvoll über den Kanal kommenden Seglern ergänzte Bulk passiert vor uns das Kap Gris-Nez an der „Strait of Dover“ (in Großbritannien) bzw. „Pas de Calais“ (in Frankreich). Wir reihen uns hinten ein und halten uns deutlich weiter vom Land weg. Damit ist schnell klar, dass diese Boote keine Nachtfahrt vor sich haben, sondern sich in einem der nächsten Häfen um die freien Gastliegeplätze streiten.


Unser Timing passt schon wieder. Der Strom schiebt schnell voran. Am Abend erreichen wir belgische Hoheitsgewässer. Anlegen wollen wir im Land der Pommes jedoch nicht. Kurz nach vier Uhr nachts passiert die Samai die Hafeneinfahrt von Zeebrugge. Ich wundere mich kurz, warum die oberen Teile der großen Hafenkräne in den Wolken verschwinden. Ein intensiver Blick nach hinten bringt eine Erklärung. Immer besser erkenne ich die Nebelwand, welche uns langsam aber sicher einholt.

Im trüben Grau hole ich dann nach einer gefühlten Ewigkeit endlich mal wieder ein Segel raus. Die Fock reicht völlig. Zwar segeln wir mit kaum 3kn durch das Wasser, doch der Strom schiebt auf mehr als 5kn über Grund. Eigentlich ist das immer noch etwas zu viel. Ich möchte nicht zur Unzeit in die Westschelde fahren. Doch ein weiteres Mal passt das Timing. Mit teils wieder einmal ordentlich Seitendrift segeln wir die letzten Meilen Richtung Vlissingen.
Die Einfahrt in den angepeilte Michiel de Ruijterhaven ist nicht ganz trivial. Einerseits ist sie von einer Barre begrenzt recht flach. Eine Ankunft von +/- 4 Stunden um das Hochwasser wird empfohlen. Das macht mir bei unseren mit aufgezogenem Schwert geringen Tiefgang jedoch weniger Sorgen. Da gibt es dann aber auch noch zwei Fußgängerbrücken über dem im Übrigen offiziell nur 6m breiten, dafür gefühlt ewig langen Mauerdurchlass. Diese Brücken sind zwar von 22-8 Uhr geöffnet. Allerdings sei das laut dem Reeds und der zwei deutlich sichtbaren roten Lichter nur für die Ausfahrt gedacht. Wir stehen schon um 7 Uhr davor. Und nun?
Wir planen schon, uns vor der Einfahrt an eine Holzkonstruktion zu legen, da kommt ein Segelboot aus dem Hafen. Freundliches Winken sowie der Hinweis, dass wir reinfahren und uns an ihren nun leeren Platz 18 auf der linken Seite legen können. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Wenig später sind die Leinen fest und der Motor aus. Augenscheinlich ist der Hafen voll belegt. Da haben wir richtiges Glück gehabt. Oder auch nur richtiges Timing. Mal sehen, was der Hafenmeister dazu sagen wird. Bis er um 8 Uhr aufmacht bleibt immerhin noch Zeit für ein Anlegerbier. Wie war das mit dem Timing?!? ;-)
