Valdivia, 9. November 2020
Am 20. August machten wir in La Estancilla fest und warteten auf den Besuch der chilenischen Behörden. Wir hatten keinen Grund anzunehmen, dass die Einreise ein Problem darstellen würde. Schließlich sagte man uns etwa drei Monate zuvor, dass wir gerne von Ushuaia direkt nach Valdivia kommen dürfen und unterwegs meldeten wir uns wie gewünscht mit dem täglichen „QTH“ (Positionsbericht). Außerdem befand sich die ganze Region rund um Valdivia in Phase 4 „Apertura Inicial“. Besser konnte und kann eine Gemeinde in Chile nicht dastehen. Doch außer unserem Honorarkonsul kam erst einmal niemand. Von offizieller Stelle erhielten wir lediglich ein Schreiben mit der Feststellung, dass wir das Boot nicht verlassen dürfen. Das war vor fast drei Monaten und gilt noch immer.
Natürlich ist in der Zwischenzeit einiges passiert. Wir haben uns in den stadtnahen Hafen von Valdivia verholt, Dieseltank und -kanister sind wieder voll, die Samai war inzwischen kurz an Land und wann immer wir uns aufraffen können, erledigen wir etwas von der nie abgeschlossenen 2do-Liste. Wir dürfen uns immerhin auf dem Hafengelände frei bewegen, haben sehr nette Menschen kennen gelernt und auch das Kajak aufgeblasen. Trotzdem haben wir über 5 Monate nach Überquerung der Grenze immer noch keinen Stempel im Pass. Zumindest bleibt uns so das Thema „Visumverlängerung“ erspart.

Der Quarantäne-Alltag an Bord hat sich eingeschliffen. Wir stehen (zu?!) spät auf, frühstücken meist vor 12 Uhr, die Kinder machen Schule, bei schönem Wetter gehen wir auf die Wiese und werfen ein paar Bälle oder nutzen das Kajak, zwischen 18 und 20 Uhr gibt es Essen und reihum beschließt einer von uns das Abendprogramm. Nach Bedarf beschäftigen wir die Waschmaschine der Marina, sonntags besorgen wir uns die ranNFL-Übertragungen (von der letzten Saison hatten wir ja nicht viel mitbekommen) und einmal die Woche kaufen wir ein.
Obwohl das Personalpronomen hier nicht ganz korrekt ist. Wir dürfen ja nicht raus. Also schicken wir über WhatsApp eine kleine Liste an unseren Honorarkonsul. Darauf stehen in der Regel „nur“ die frischen Sachen und spezielle Wünsche (neue Tastatur, Holzplatte…). Seine Frau und er kümmern sich ungebrochen selbstlos um uns! Den Großteil der Einkäufe können wir online beim Supermarkt bestellen und zu uns liefern lassen. Das klappt ausgesprochen gut und ist auch gar nicht mal so teuer. Nur das mit dem Bezahlen ist ein kleines Problem. Unsere deutschen Kreditkarten funktionieren leider nicht… man benötigt zwingend eine in Chile ausgestellte Karte. Auch hier brauchen und bekommen wir also Hilfe. Der Honorarkonsul bezahlt unseren Einkauf mit seiner Karte und wir überweisen das Geld auf das deutsche Konto seiner Frau. Es wäre so viel einfacher, wenn wir selbst mal raus dürften… wir Jungs müssten nach einem halben Jahr auch echt dringend mal wieder zum Frisör!

Doch auch in dieser Hinsicht hat sich ganz unabhängig von unserer Situation etwas geändert. Nicht zum Besseren. Schon vor ein paar Wochen wurde Valdivia auf Phase 2 „Transición“ zurück gestuft. Das beinhaltet unter anderem eine allgemein Ausgangssperre am Wochenende. Und seit dem 7. November stehen wir nun auf Phase 1 „Cuarentena“. Das beinhaltet eine (mindestens) 2-wöchige Ausgangssperre. Nur wer eine entsprechende Arbeit verrichtet, darf sein Heim verlassen. Ansonsten ist lediglich zweimal die Woche ein Gang zum Einkauf gestattet. Und das wird hier dann mit so einer Art Passierschein auch streng kontrolliert.

Das stelle man sich mal in Deutschland vor. Angemessener Abstand und die obligatorische Maske ist hier seit Monaten weitgehend gelebte Selbstverständlichkeit. In Leipzig demonstrieren tausende „Querdenker“ (was hat eigentlich ausgerechnet dieses Verb da zu suchen??). Auf Chiles 19,5 Mio. Einwohner kommen täglich 1.000 bis 1.800 neue, bestätigte Fälle. Unsere ganze „Región de Los Rios“ hat knapp 400.000 Einwohner und an immerhin schon einen Tag (31. Oktober) mehr als 100 neue Fälle gemeldet. Ergo: Quarantäne!
Sinnhafte Inzidenzen, sinnvolle Maßnahmen, sinngebende Verhältnismäßigkeit, virenfreier Menschenverstand… mache sich jeder sein eigenes Bild.
Wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Die Familie ist zusammen, auf der Samai zu Hause, die Frühlingssonne scheint und gesundheitliche Bedenken müssen wir auch nicht haben. Natürlich gelingt es nicht jeden Morgen, optimistisch in den Tag zu gehen. Manches Mal schleicht sich ein gewisser Fatalismus unter Deck ein. Unsere Pläne sind ordentlich durcheinander gerüttelt, die nahe Zukunft immer noch ungewiss. Doch objektiv betrachtet, wenn man sich mal ernsthaft die aktuellen Alternativen überlegt, geht es uns gut. Daran erinnern wir uns immer wieder und immer gerne. Also nicht jammern, sondern um es mit den Worten meiner lieben Oma (Gott hab sie selig) zu sagen: „Kopf hoch!“

Wahnsinn, drei. Monate schon. Es ist verrückt wie irrational Länder und ihre Behörden in der jetzigen Situation reagieren. Ganz ganz liebe Grüße, ich drücke Euch die Daumen, dass sich bald etwas tut.