Viele von euch sind sicher aktiv Teilnehmende am und im deutschen Straßenverkehr. Was kann ich da schon Interessantes zu erzählen? Nun ja… nach drei Jahren Auszeit rund Südamerika vielleicht eine andere Perspektive?!?
Es gibt einen modernen Fuhrpark…
Schon auf der ersten Fahrt von Kühlungsborn nach Berlin fällt sogar den Kindern auf wie sauber und gepflegt, augenscheinliche neu sowie in der Regel beulenfrei die Autos hier so sind. Das sind wir so tatsächlich nicht mehr gewohnt. Das, was auf deutschen Straßen die verbeult-rostende Ausnahme ist, war für uns in den letzten Monaten eher der Regelfall.
In diesem Zusammenhang fällt auch die in den letzten drei Jahren offensichtlich sprunghafte gestiegene Anzahl von E-Kennzeichen auf. Gerade diese amerikanische T-Marke von Herrn M. ist zumindest in Berlin auffällig oft auf der Straße anzutreffen. Das gilt ebenso für die kurz nach unserer Abfahrt eingeführte ID-Serie des großen deutschen Autobauers, die wir hier erstmals sehen.
Sollte Deutschland tatsächlich klammheimlich Schritte in eine elektrofreundliche Zukunft der Verkehrswelt unternommen haben?!?
Es gibt neue Schilder…
Wir haben an dieser Stelle ja schon hin und wieder von Verkehrsschildern berichtet, die wir so noch nicht kannten. Doch was soll ich sagen?! Kaum zurück in Deutschland fällt uns in Berlin schon wieder ein Schild auf, das wir so noch nicht kannten. Erstmals sehen wir eines der 2020 neu eingeführten Verkehrszeichen für Radfahrer.

Sollte Deutschland tatsächlich klammheimlich Schritte in eine fahrradfreundliche Zukunft der Verkehrswelt unternommen haben?!?
Es geht ordentlicher zu…
Wir Deutsche (Achtung: Vorurteil?!) haben ja nicht ganz zu Unrecht den weltweiten Ruf, eine gewisse Tendenz zu Regeln und deren Befolgung zu haben. Wir mögen es halt schön ordentlich, Das gilt natürlich auch für den Straßenverkehr. Spurtreue ist selbstverständlich. Hin und wieder wird sogar der Blinker gesetzt. Selbst beim Abbiegen! Das Gros fährt augenscheinlich gesittet und ordentlich durch eine von unzählbar vielen funktionierenden Ampel, einem Schilderwald, automatischen Verkehrsleitsystemen und beschrifteten Straßen in geregelte Bahnen geführten Straßenverkehr. Fast schon vorbildlich?!
Es geht aggressiver zu…
Doch den Anschein täuscht. Die Anzahl der gerade noch so bei „Kirschgrün“ über die Kreuzung bretternden Fahrzeuge ist nicht geringer als anderswo. Gefühlt eher im Gegenteil. Auch die Sache mit dem Abstand ist gerade auf den Autobahnen ein von schnelleren Fahrzeugen gern genutztes Mittel, einem Wunsch nach „freier Fahrt für freie Bürger“ Ausdruck zu verleihen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass alle Drängler einfach nur schnell auf Klo müssen, um nicht in die teuren Sitze zu … ;-)
In diesem Zusammenhang spielt sicher auch der Umstand der obligatorischen Haftpflicht- und häufig vorhandenen Vollkaskoversicherung eine Rolle. In Ländern wo der Versicherungsstatus anderer Verkehrsteilnehmer unklar ist, steigt die Motivation zur Vermeidung von Schäden, auf denen man ggf. selbst sitzen bleibt.
Beispiel: Ein Kleinlaster steht am Straßenrand. Um zu passieren muss ich halb auf die Gegenspur, die jedoch breit genug ist, neben dem Hindernis noch den Gegenverkehr und mich durchzulassen. Das kommt überall mal vor. In den letzten Monaten war das auch nie ein Problem. Der Gegenverkehr fährt einfach etwas weiter am Rand und man grüßt einander. Ganz entspannt. Anders vorletzte Woche hier in Berlin. Der Gegenverkehr bleibt stur in der Mitte, macht aus der Ferne Lichthupe, in Hörweite dann die normale Hupe und reißt in letzter Sekunde wutentbrannt am Steuer, um die notwendigen 20cm auszuweichen. Ohne Worte. Mit dieser Einstellung wären die kurvigen Bergstraßen Südamerikas ein einziger, großer, unpassierbarer Friedhof… nicht nur für Autos!
Es wird anders gehupt…
Überhaupt die Hupe. Sie wird weltweit gerne und ausgiebig genutzt. Allerdings gibt es Unterschiede beim Verwendungszweck. In Südamerika kündigt man damit oft einen beginnenden Überholvorgang an. „Achtung, pass auf, ich überhole von hinten und möchte, dass wir beide unfallfrei aus dem Manöver rauskommen.“ Täte man das in Deutschland, so verstünde der oder die Überholte sicher eher: „Hey, schleichender Idiot, mach endlich Platz für Autofahrer, die schneller und einfach geiler sind als du!“ Und genau so wäre es meist wohl auch gemeint. ;-)
Noch schlimmer ist ja, wenn man es wagt zu bremsen, um einen abbiegenden Gegenverkehr durchzulassen. Schließlich könnte man ja selbst mal so stehen und auf diese freundliche Geste des Miteinanders hoffen. Doch wie kann man es nur wagen? Immerhin entschädigen die lustig-verzerrt-schimpfenden Gesichter, welche man in solchen Situationen oft im Rückspiegel erkennen kann, für den Schrecken der dröhnenden Hupe, die aus dem gerade meinen Kofferraum besuchenden Kühlergrill schrillt.
Beispiel: rote Ampel wird grün. Nirgendwo anders auf der Welt wird man so oft von hinten angehupt, weil der Wagen sich auch ganze 0,42s nach Grün noch nicht bewegt hat. Mäp, määp, määääääp. Gerade hier in Berlin. Das passiert natürlich auch in anderen Ländern, aber bilde ich mit wirklich nur ein, dass das Signalhorn dort erst deutlich später und weniger aggressiv tönt?!
Überhaupt wird das in Deutschland so selten zu erlebende Phänomen des „freundlichen Hupens“, beispielsweise bekannter Menschen am Straßenrand andernorts intensiver zelebriert. Schade eigentlich, denn selbst wenn das vor mir fahrende Fahrzeug dann für einen schnellen Plausch mit einer Freundin abbremst, kann man entspannt bleiben… und natürlich hupen… um freundlich den eigenen Überholvorgang anzukündigen.
Fazit…
Wir sind in den letzten Monaten und Jahren in vielen Ländern Auto gefahren, die den Ruf eines chaotischen, ja gefährlichen Straßenverkehrs haben. Von den bisher nicht angesprochenen, in Deutschland wirklich hervorragenden Straßenverhältnissen mal ganz zu schweigen. Dieser Ruf ist auch oft alles andere als unbegründet. Und doch war es dort für mich zu allen Zeiten entspannter zu fahren, als im Berliner Stadt- und insbesondere Berufsverkehr. Nach meinem Gefühl besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass es in Deutschland nur selten darum geht, miteinander heile und unfallfrei durch den Verkehr zu kommen. Hier scheint es mir oft ein Wettbewerb zu sein. Das eigene Behaupten in einer mutmaßlichen Hackordnung des Straßenverkehrs. Was ist das anstrengend! Dabei wollen wir doch eigentlich alles dasselbe: Sicher ans Ziel!
Ich habe mir geschworen, auch nach unserer Rückkehr eine gewisse Gelassenheit zu bewahren. Der Straßenverkehr ist in dieser Hinsicht die ultimative Herausforderung. Immer wieder ertappe ich mich dabei, in alte Muster zurückzufallen. Dann hilft nur, tief durchzuatmen. Ruhig. Alles gut.
¡Siempre tranquilo!
P.S. In der Übertreibung liegt die Anschaulichkeit! :-)
Ja der Autoverkehr in Deutschland!!! Mir fiel es immer wieder auf, wie groß doch der Unterschied ist, wenn ich aus der USA oder auch Kanada zurück kam. Dort Gelassenheit und hier Stress.
Liebe Grüße,
Roland
Gut zu lesen, dass ich mit meiner Einschätzung anscheinend nicht ganz alleine dastehe… ;-)
Liebe Grüße und gelassene Fahrt,
Micha
Ich empfehle lieber den Bus zu nehmen 🙃
Da bin ich prinzipiell ja ganz bei Dir. Das aktuelle Problem ist jedoch die Lage unserer momentanen Unterkunft bei meinen Eltern. Kladow ist zwar echt nett, aber halt auch ziemlich abgelegen am Rand von Berlin. Der Schulweg mit Bus und Bahn dauert inkl. 3-4x Umsteigen im Idealfall ca. 75min. One Way! Da werden wir wohl noch ein paar Tage auf das Auto zurück greifen. Aber Abhilfe ist ja in Sicht. Von der neuen Wohnung aus sind es ab Februar dann nur noch 10min mit dem Fahrrad. Licht am Horizont. ;-)
Liebe Grüße,
Micha