Tourada à Corda – Tradition mit Stier und ohne Tote

18. Juni 2022

Wer uns nur halbwegs kennt weiß sicher, was wir von traditionellem Stierkampf halten. Kurz gesagt rein gar nichts. Auch auf Terceira gibt es Stierkampfarenen, in denen diese in Portugal verbreitete Tradition zelebriert wird. Die größte in Angra do Heroísmo ist während der aktuelle stattfindenden Sanjoaninas 2022 fast täglich auf dem Veranstaltungsplan vertreten. Wir wissen nicht, was dort stattfindet und wollen es eigentlich auch nicht wissen.

Auf Terceira hat sich aber auch noch eine andere Art von Tradition herausgebildet: Tourada à Corda. Dabei handelt es sich um einen speziellen Straßenstierkampf mit Seil. Im Sommer veranstaltet praktisch jedes Dorf seine eigene Tourada à Corda. In den Straßen von Angra findet es gerade täglich statt.

Vorbereitung für eine Tourada à Corda vor der Haustür

Das Wichtigste ist, dass bei diesem „Stier am Seil“ niemand getötet wird. Zumindest nicht der Stier. Dieser kommt zwar auch nicht immer ohne Blessuren davon, kann sich danach aber garantiert auf einer saftig-grünen Weise erholen. Auf Menschenseite endet es auch immer wieder mal mit leichten bis schweren Verletzungen, manchmal sogar tödlich. Ein Rettungswagen ist jedenfalls immer vor Ort.

Wie läuft das nun ab? Wenn ein Knall ertönt, sollten alle auf ihre Sicherheit bedachten Zuschauer von der Straße runter sein. Erste Regel als Tourist ist dabei, niemals alleine zu stehen. Von Einheimischen gemiedene Plätze sind normaler Weise nicht sicher. Dann wird das Tier an einem langen, von sogenannten Mascardos gehaltenem Seil raus- und damit auf die Zuschauer losgelassen. Wer möchte, stellt sich den Hörnern entgegen. Erlaubte „Waffen“ sind Decken, Regenschirm und schnelle Beine. Nach einer Viertelstunde wird das Tier wieder in seine Box buchsiert und ein doppelter Knall verkündet, dass die Straße sicher ist. Das ganze findet normaler Weise viermal statt.

Noch in der Box…
… wird das Seil angelegt…
… bevor der Knall ertönt!

Von João, der uns hier auf Terceira den günstigen Leihwagen vermittelt hat, bekommen wir den Tipp, uns die Tourada in dem kleinen Dorf Santiago anzuschauen. Dort werde er selbst auch hinfahren. Maila ist anfangs skeptisch, kommt aber tapfer mit. Trotz einiger Umwege und einer weit zugeparkten Straße schaffen wir es gerade noch rechtzeitig vor dem ersten Knall. João begrüßt und schickt uns auf den abgezäunten Sportplatz. Dort erspäht der Skipper eine Leiter und klettert sogleich auf das Dach eines kleinen Hauses.

Sicher nach oben?!

Es herrscht Volksfeststimmung. Imbissbuden, Bierstand und ein von unserer Familie mit reichlich Umsatz bedachter Popcornverkäufer versorgen die ausgelassene Masse. Wir schauen uns um. Andere Touristen erkennen wir kaum bis gar nicht.

Dann kommt der erste Stier. Schlagartig leert sich die Straße. Doch einige junge Männer bleiben. Schnell merken selbst wir, dass sie das nicht zum ersten Mal machen. Sie nähern sich den Hörnern hinter dem vermeintlichen Schutz von Regenschirmen und zeigen dann doch recht oft, wie schnell sie rennen können.

Auch dieser Mann macht das sicher nicht zum ersten Mal. Davon zeugt wohl auch sein Verband?!

Der zweite Stier, dem jetzt auch die Kinder vom Dach aus zuschauen, zeigt beeindruckend seine Kraft. Eine Holzpalisade wird kurzerhand zur Seite geschoben. Die dahinter stehenden Zuschauer ergreifen hastig die Flucht. Auch die Holzverkleidung am Eingang zum Sportplatz muss dran glauben. La Skipper (links oben Bild) ist begeistert.

Ganze Arbeit!

Für den dritten Stier wechselt der Skipper die Perspektive und stellt sich direkt an den Straßenrand. Keine Sorge, die Mauer hier ist hoch genug. Der Rest der Familie versammelt sich jetzt vollständig auf dem Dach.

Hinten rechts der Skipper…
… oben links die Crew

Wie bei jedem anderen zeigt sich auch beim dritten Stier der Unterschied zwischen Theorie und Praxis der seilhaltenden Mascardos. Stürmt das Tier die Straße entlang hält plötzlich niemand mehr ein Seil, sondern flüchtet sich in ausreichende Höhe. Manches Mal ist das dann auch ein Laternenpfahl oder Zaun, an dem der Zuschauer hängt, während er vom Stier unter ihm fixiert oder ignoriert wird.

Gut festhalten!

Andere sind mutiger. Einer weiterer junger Mann legt seine Hand zwischen die Hörner, während er in engen Kreisen rennend versucht, ausreichend Abstand zu halten. Jetzt bloß nicht ausrutschen.

Für den vierten Stier, den sich nun beide Jungs vom ausreichend hohen Straßenrand aus anschauen, denkt man sich etwas Besonderes aus. Kurzerhand wird die Barrikade vor dem Eingang zum Sportplatz weggenommen. Der Stier nimmt die Einladung an. Die Mädels freuen sich über ihren Platz auf dem Dach .

Nicht die erste Tüte Popcorn!
Nächster Streichelversuch
Schluss für heute.

Nach knapp 2½ Stunden ist das Spektakel vorbei. Die vier Stiere haben sich ihre Erholung redlich verdient und zusammen mit den anderen Zuschauern verabschieden wir uns in dem Gedanken, dass sie diese auch bekommen werden. Auf einer saftig-grünen Wiese.