9. Juli 2022
Ich habe lange überlegt, ob und wenn ja wie ich diesen Beitrag schreiben soll. Gestern habe ich mich dafür entschieden…
Irgendwie fühlen wir Blauwassersegler uns ja schon wie eine große Familie. Eine sehr große Familie, in der es natürlich nicht immer nur harmonisch und einvernehmlich zugeht. Trotzdem wünscht man keinem etwas Schlechtes und glücklicherweise passiert ja auch erstaunlich selten etwas wirklich Schlimmes. Wenn, dann ist in den allermeisten Fällen ohnehin nur das Boot betroffen. Vom banalen Kratzer beim verunglückten Anleger bis zum seglerisch durchaus herausfordernden Mastbruch auf dem offenen Ozean.
Der schlimmste Fall, der uns in unserem „näheren Dunstkreis“ zu Ohren kommt, ist ein Katamaran, der auf der Fahrt von Santa Marta nach Cartagena in kolumbianischen Gewässern gesunken ist. Grund war ein krasser Bedienfehler des frisch gebackenen Eigners, der mit seiner Crew aber von einem befreundeten Begleiter sicher abgeborgen wurde.
Und dann kommt der 19. Juni 2022. Wir lesen einige Blogs anderer Segler, stehen teilweise in Kontakt und mehr oder weniger regelmäßigem Austausch. So auch mit den deutschen, untereinander gut befreundeten Booten Flora und Escape. Zwei sehr nette Paare unter Segeln. An diesem Tag lesen wir bei der Flora einen Beitrag mit dem Titel „Abschied“. Sie berichten von der Escape. Bei der Überfahrt von Bermuda nach Halifax ist am 12. Juni ein Unglück passiert. Ein Albtraum!
Der genaue Hergang wird noch untersucht. Das traurige Ergebnis ist bekannt. Annemarie und Volker werden schwer verletzt von der Küstenwache abgeborgen und können an Land nur noch für tot erklärt werden. Unsere Gedanken sind bei ihrer Familie und ihren Freunden. Unsere Gefühle sind kein Vergleich mit ihrem Schmerz.
Warum schreibe ich davon? Zunächst weil es ein Thema ist, dass uns an Bord der Samai sehr beschäftigt. Die Escape ist ein großes und stabiles Segelboot. Die zwei waren wie wir seit 2019 unterwegs. Sie waren nur ein paar Jahre älter als wir. Sie lebten ihren Traum, genossen das Leben, ihr Schiff und hatten noch so viele Pläne. Vorbei. Einfach so.
Blauwassersegeln ist vergleichsweise sicher. Jede Straßenüberquerung in einer Großstadt birgt statistisch mehr Risiko. Trotzdem kann auch an Bord etwas richtig schief laufen. Jedes Jahr erwischt es einige, zum Glück nur sehr wenige von uns Blauwasserseglern. Das erinnert daran, dass jeder Mensch dankbar sein sollte für jeden Tag, den er in Frieden und Gesundheit genießen darf. Es gibt nicht wenige Menschen, die Pläne machen und sie in die Zukunft schieben. Doch niemand weiß, wie viel Zeit noch bleibt. Traurige Anlässe wie dieser erinnern, nein ermahnen uns, die Zukunft nicht als gesichert zu sehen. Aktuelle Ereignisse in Europa geben davon ebenso Zeugnis.
Wir hatten das Privileg, unseren Plan umzusetzen. Anders als gedacht. Die Gründe sind bekannt. Trotzdem durften wir in den letzten drei Jahre Erfahrungen machen, die uns ein Stück weit geprägt haben. Wir sind dankbar für die Zeit, die hinter uns liegt… wollen sie im Herzen behalten. Und wir sind dankbar für die Zeit, die vor uns liegt… sie mit einem Lächeln auf den Lippen nutzen.
Jeden Tag!