Wie versprochen, berichten wir am Wochenende ganz aktuell von unserer gerade stattfindenden Atlantiküberquerung.
Vorab: die Sache mit dem Etmal
Wir Segler rechnen ja gerne in Etmalen. Offiziell geht das von Mittag bis Mittag gem. Sonnenhöchststand. Beim Segeln in Nord-Süd- bzw. Süd-Nord-Richtung hat ein Etmal also gleichbleibend 24 Stunden. Beim Segeln in Ost-West- bzw. West-Ost Richtung ist es länger bzw. kürzer als 24 Stunden.
Wir machen es uns dagegen einfach und nehmen ganz frech immer 24 Stunden. Abfahrt war Ortszeit 8 Uhr (also 13 Uhr mitteleuropaeischer Sommerzeit). Ab hier machen wir alle sechs Stunden Positions- und Wettereinträge ins Logbuch. Der Reisetag und damit das Etmal endet nach genau 24 Stunden am nächsten Morgen um 8 Uhr. Besser gesagt um 13 Uhr mitteleuropaeischer Sommerzeit. Da wir bis zu den Azoren die Uhr dreimal um je eine Stunde vorstellen werden, endet unser Etmal also am Ende der Überfahrt gem. Bordzeit um 11 Uhr. Ist jetzt nicht im Sinne des Erfinders, doch auf welchem Schiff wird heutzutage noch der tägliche Sonnenhöchststand exakt gemessen?!?
Ach ja, dem bei vielen (vor allem, aber nicht nur schnellen) Seglern geliebten Ritual einer Bekanntgabe der in einem Etmal zurück gelegten (ich schreibe bewusst nicht gesegelten) Seemeilen verweigere ich mich weiterhin. Zumindest prominent auf dem Blog. Wer es unbedingt wissen will, kann ganz in der Nähe fündig werden…
Sonntag, 15. Mai 2022 – Squalls und Mondfinsternis
Um 8 Uhr holen wir vor Kourou im französischen Überseedepartement Guyana den Anker auf. Der Strom schiebt die Samai schnell den Fluss raus. Ein Pärchen Graubrustschwalben begleitet uns. Immer wieder versuchen sie an den unmöglichsten Stellen zu landen, verstecken sich auch schon mal im Baum. Irgendwann verlassen sie uns.



Wir motoren das enge Fahrwasser von Kourou Richtung Îles du Salut. Ausflugskatamarane überholen uns. Noch ein letzter Plausch mit einem Bekannten. Doch was ist das? Von Osten her zieht die Nacht auf. Zumindest sieht es so aus. Eine dunkelgraue Front kommt bedrohlich näher. Das Radar zeigt ein riesiges Regenfeld. Als ersten verschwinden die Inseln vor uns. Kurz danach sind wir dran. Mit gut 30kn fegt Starkregen über die Samai. Der Katamaran vor uns verschwimmt ebenso im Grau, wie die große Ansteuerungstonne des Kourou-Fahrwassers. Jetzt nehme sogar ich endlich mal dieses Wort in die Feder: der Atlantik begrüßt uns mit einem Squall. Na das nenne ich mal einen ganz speziellen Humor.





Kaum hat sich der Spuk verzogen, ziehen wir die Segel hoch. Anfangs noch gerefft (also mit verkleinerter Segelfläche) fahren wir kurz nach dem Mittag Vollzeug (also mit vollem Großsegel und Fock) bei 4 Bft. am Wind Richtung Nordwest. Der Guyana-Strom schiebt kräftig zur Seite, dafür aber auch kräftig an. Zum ersten Mal seit Monaten haben wir auf dem Meer die Strömung nicht gegen, sondern mit uns. Ein tolles Gefühl.
Im Laufe des Tages nimmt der Wind auf die angesagten 5Bft. zu. Wir verkleinern das Großsegel schrittweise ins zweite Reff. Abends kommen mit zunehmender Regelmäßigkeit Wolken mit 6er Böen.
Kurzer Einschub fuer Nichtsegler: Ich nenne hier fast immer den wahren Wind. Das Boot segelt jedoch mit dem scheinbaren Wind. Dieser ist es, der mir an Deck um die Nase weht. Kurz gesagt handelt es sich dabei um eine Vektoraddition von wahrem Wind (gem. Stärke und Richtung) und Fahrtwind (gem. Bootsgeschwindigkeit von vorne). Faustregel: Beim Segeln vor dem Wind verringert der Fahrtwind den von hinten kommenden wahren Wind. Beim Segeln am Wind, erhöht der Fahrtwind den von vorne kommenden wahren Wind.
Zu Erinnerung: Wir segeln am Wind. Scheinbar weht es uns also beständig mit 6Bft. und mehr um Segel und Nasen.
Was macht da eigentlich die Crew so? Nun im Grunde genau das, was sie die ersten Tage einer längeren Passage immer macht. La Skipper wohnt intensiv die zur Liegefläche umgebaute Salon-Couch ab. Samuel hat Kopfhörer auf, hört heute von Michael Ende die unendliche Geschichte zu Ende. Und auch Maila hat lange Zeit die Kopfhörer auf, schaut mal aufs Meer und kuschelt sich mal ein. Heute ist schulfrei. Abends gibt es Suppe.
Die Sonne geht unter, der Vollmond steigt empor. Das Groß bleibt im zweiten Reff, doch für die Nacht hole ich die größere Fock ein und setze die kleinere Kutterfock. Kostet kaum Geschwindigkeit, bringt dafür mehr Ruhe und Spielraum bei Windböen. Das bin ich als Skipper meiner Crew, dem Boot und auch den Segeln schuldig!
So segeln wir so ruhig es auf knapp 3m Welle an 5 (in Böen 6) Bft. Wind es halt geht in die Nacht.
Als mich um halb eins das Handy für meinen halbstündigen Rundumblick weckt, stutze ich. Es ist dunkel. Schon klar es ist ja auch Nacht. Aber es ist halt eine Vollmondnacht. Und so mächtig, dass sie das derartig unterdrücken könnten, sind die Wolken nun auch wieder nicht. Hin und wieder sehe ich sogar Sterne durchscheinen. Und dann ist da diese dunkelrotbraune Scheibe, an deren Rand gerade ein letzter heller Flecken verschwindet. Ein Blick in meine Offline-Wikipedia bestätigt die im Grunde schon vorhandene Gewissheit: Heute Nacht ist totale Mondfinsternis. So richtig zentral mit fast 90min Dunkelheit. Ich hole die Kinder raus. Sie würden es mit nie verzeihen, wenn ich ihnen das nicht zeige. Leider schieben sich recht schnell Wolken dazwischen. Es ist stockfinster. Doch zwei Stunden später strahlt der Mond wieder so hell, dass ich im nächtlichen Cockpit Schatten werfe.
Montag, 16. Mai 2022 – Segelmodus bei viel Wind
Im Laufe des Tages nimmt der Guyana-Strom ab und der Wind weiter zu. Abends haben wir stabile 6Bft. und es zieht die ein oder andere Wolkenfront mit 7Bft. durch. Wahrer Wind wohlgemerkt. Scheinbar knacken wir mehr als einmal die 30kn, kommen also auf 60 km/h Windgeschwindigkeit.
La Skipper frönt weiterhin vorwiegend ihrem Segelmodus. Die Kinder können wir immerhin zu ein paar leichten Schulfächern überreden. Abends gibt es wieder Suppe. Mehr bekommt ¾ der Besatzung gerade nicht im Guten runter. Und für mich alleine will ich auch keine Extranudeln kochen.
Die Sonne geht unter, der fast-noch-Vollmond steigt empor. Die kleinere Kutterfock bleibt stehen, doch für die Nacht verkleinere ich das Groß in das dritte Reff. Kostet kaum Geschwindigkeit, bringt dafür mehr Ruhe und Spielraum bei Windböen. Das bin ich als Skipper meiner Crew Déjà-lu?! ;-)
So segeln wir so ruhig es auf gut 3m Welle an 6 (in Böen 7 Bft.) Wind es halt geht in die Nacht.
Verlust des Tages: Das Großsegel hängt abwechseln mit einer Segellatte (fest) bzw. einem Gummiband (flexibel) an sogenannten Mastrutschern. Beim Klarieren des dritten Reffs hat sich eines der Gummibänder verabschiedet. Im Grunde habe ich so etwas schon seit ein paar Monaten erwartet. Damit steht das Segel nun nicht mehr perfekt. Das ist für ein paar Tage aber auch nicht weiter wild. Wenn es etwas ruhiger ist, ersetze ich gleich mal alle Gummibänder. Wofür habe ich entsprechenden Ersatz dabei?!
Dienstag 17. Mai 2022 – Unruhiger Wassersport
So richtig nervig sind inzwischen die Wellen geworden. Es sind zwar weiterhin nur so um die plus-minus 3 Meter. Trotzdem bringen sie nicht nur anstrengende Unruhe ins Boot. Absolut unvorhersehbar knallt immer mal wieder eine so geschickt an den Rumpf, dass sie das Boot überspült. Auf dem Vordeck kein Problem. Ärgerlich jedoch, wenn sie seitlich ins Cockpit oder gleich mal direkt quer über die Sprayhood einsteigt. Nun ja, Segeln ist halt irgendwie doch ein sogenannter Wassersport. ;-)
Der Bordalltag bleibt unverändert. Abgesehen davon, dass La Skipper einen kurzen Opfergang an Rasmus beschreitet. Vor diesem Hintergrund lasse ich die konservativ kleine Segelfläche unverändert. Obwohl ich das Groß bei nun etwas etwas schwächeren 5-6 Bft. eigentlich etwas mehr rausholen könnte. Das bin ich als Skipper ;-) Ansonsten ein bisschen Schule und viel Geschaukel.
Die Nacht verläuft ereignislos. Kein anderes Schiff in Sicht. Unter der etwas zu kleinen Besegelung kommen wir zwar nicht rasend schnell, aber beständig voran Richtung Norden.