April 2022
Nach Cayenne ist Saint-Laurent-du-Maroni mit offiziell knapp 50.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Französisch-Guyana. Obwohl die Marke inzwischen übertroffen sein dürfte. Der Ort hat eine der höchsten Geburtenraten Frankreichs. Ein Grund dafür ist das Kindergeld. 450€ pro Kind und Monat. Bar abzuholen an der Post. Da kann Kinderreichtum zu einem Geschäftsmodell werden. Übrigens auch für Surinamesen. Ist der Nachwuchs in Französisch-Guyana geboren und geht hier zur Schule, fließt das Geld. Da wundert es auch nicht mehr, dass allmorgendlich die aus dem Nachbarland am anderen Flussufer kommenden Pirogen voller Kinder hier anlegen.
Überhaupt diese Pirogen, also um die 10m langen Einbaumboote mit Außenbordmotor. Hunderte soll es hier geben. Der rege Grenzverkehr lässt daran keinen Zweifel aufkommen. Für 5€ hat man schnell übergesetzt. Zur Erinnerung: das hier ist EU-Außengrenze! Ja macht die Küstenwache denn nichts dagegen? Aktuell nicht wirklich. Sie haben kaum mehr als ein kleines Schnellboot zur Verfügung und dafür noch nicht einmal einen eigenen Steg. Da ist der Kampf gegen stündlich dutzendfachen illegalen Grenzübertritt ein Kampf gegen Windmühlen. So sitzen sie meist in ihrem Häuschen mit Flussblick und genießen die Aussicht.

Der Grenzverkehr ist fest in der Hand surinamesischer „Einwanderer“. Von 1986 bis 1992 herrscht im Nachbarland ein Bürgerkrieg. Zu Tausenden kommen Flüchtlinge über den Fluss nach Saint-Laurent-du-Maroni. Ihnen werden neue Häuser gebaut. Sie bleiben. Inzwischen verfallen die Häuser. Man müsste sich halt auch mal darum kümmern. Nun gut… jetzt kümmert sich die französische Regierung um die Instandhaltung. Wer will da schon wieder zurück nach Suriname?


Dass es auch anders geht, sieht man nur wenig weiter im amerindischen Viertel. Die Nachfahren der Ureinwohner sind genauso arm, wie die Surinamesen um die Ecke. Doch hier sind die Häuser gepflegt, es gibt grüne Vorgärten, auf der Straße fühlt man sich sicher. Tag und Nacht. Ein Gegensatz, der sich auf dem Fluss fortsetzt. Weiter im Landesinneren wird man gerne mal von einer surinamesischen Piroge angehalten und mit Nachdruck zur Übergabe von Wertsachen aufgefordert. Zur Flussmündung hin ist amerindisches Gebiet. Hier ist es sicher. Traurige Realitäten prallen aufeinander.
Eine besondere Anekdote bietet der Fischmarkt. Mit EU-Fördergeldern wird eine vernünftige Infrastruktur erbaut. Mit Kühlung und allem Drum und Dran. Dann stellt irgendjemand jedoch ganz überraschend fest, dass die Fischerboote gar nicht die Voraussetzungen der Kühlkette erfüllen (können). Daraufhin wird das weitgehend fertiggestellte Projekt wieder fallen gelassen… und verfällt. Heute prägen Kühlschränke den lokalen Fischmarkt. Diese verrichten jedoch nicht stehend ihren Daseinszweck, sondern liegen als Pseudo-Kühlboxen in Reih und Glied auf dem Boden. Und wenn man Glück hat, ist sogar hin und wieder etwas Eis darin. Meist jedoch nicht. Wer hier seinen Fisch kauft, braucht wirklich einen ausgesprochen robusten Magen!




Es gibt auch einen zentralen Marktplatz. Vor allem Mittwochs und Samstags wird hier Obst und Gemüse angeboten. Die Herkunft der Verkäufer ist leicht festzustellen. Aus Französisch-Guyana sind all jene, die ihren eigenen Stand haben. Dagegen kommen die Angebote der auf dem Boden ausgebreiteten Decken oder auch die mit Bananen gefüllten Schubkarren aus Suriname. Der kleine Grenzverkehr funktioniert tadellos. Sporadisch sorgt ein meist gelangweilt umherschauende Polizist für gefühlte Sicherheit. Die zentrale Markthalle in der Mitte ist geschlossen. Muss restauriert werden.







Überhaupt ist das zentrale Stadtbild vor allem von einem gewissen Verfall geprägt. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die in entsprechenden Vorschriften geforderte, originalgetreue Restaurierung der historischen Bauten zu teuer ist. Da warten die Eigentümer lieber, bis die Bauten zusammenbrechen. Dann darf man dort bauen, wie man will. Kann halt etwas dauern.


Es gibt aber auch ein paar ansehnlichere Ecken. Die kleine Kirche macht zwar nur von außen etwas her. Aber gleich nebenan stehen schön restaurierte Gebäude…





Falls es zwischen den Zeilen bisher nicht durchgekommen ist, noch eine abschließende Warnung an besuchende Segler. Ja, der Ort hat durchaus seinen Reiz und ist einen Besuch wert. Allerdings ist es ratsam, gut gemeinte Hinweise ernst nehmen. Auf der alten Hauptstraße sollte man maximal bis zum Wasserturm wandern. Darüber hinaus nehme man die neue, viel befahrene Durchgangsstraße. Die Straße am Ufer ist zu Fuß ohnehin tabu. Vor allem abends und nachts. Überhaupt sollten Nachtschwärmer vorsichtig sein. Am Ostersonntag legen wir mit dem Dinghy am Steg an, als uns ein französischer Segler um Mitfahrgelegenheit zu seinem Boot bittet. Er war am Vorabend mit seinem Sohn feiern. Sie wurden ausgeraubt. Alles weg, inklusive Schlüssel zum Dinghy-Schloss. Sein Sohn pennt auf dem Boden vor dem kleinen Hafenbüro und auch der Vater bewegt sich noch sehr bedächtig. Seine Wunde am Arm scheint er (noch) nicht zu bemerken. Er meint „C’est normal!“. Ich bin erschüttert.

Unser Dank gilt an dieser Stelle dem TO-Stützpunktleiter Davide. Er fährt mit uns auf einer kleinen Rundfahrt durch Stadtviertel, die wir ohne ihn nicht gesehen hätten. Aus gutem Grund. Er erzählt uns Geschichten, die wir ohne ihn nicht gehört hätten und nicht weitererzählen könnten. Unsere gewonnenen Eindrücke bestätigen sein zusammenfassendes Fazit. In Saint-Laurent-du-Maroni ist es wie in einer Grenzstadt des Wilden Westen. Rau und dreckig. Aber auch voller Chancen wenn man sie sieht und gewillt ist, die Ärmel hochzukrempeln.

Zur Erinnerung: wir sind in der EU! Es herrscht also „Freizügigkeit“. Aus Paris ist es praktisch nur ein Inlandsflug. Freiwillige vor!
