Saint-Laurent-du-Maroni, April 2022
Vor Saint-Laurent-du-Maroni liegt eine kleine Insel. So sieht es zumindest aus. Sowohl aus der Ferne, als auch auf der Seekarte. Zwei Tonnen markieren die Gefahrenstelle. Und wenn man in die Karte reinzoomt, sieht man auch den Namen der Insel: Edith Cavell. Komischer Name für eine Insel.

Die Auflösung ist einfach: Es ist ja auch keine Insel, sondern ein Wrack. Beziehungsweise war es nicht zuletzt auch eine britische Krankenschwester. Geboren 1865 ist sie Anfang des 20. Jahrhunderts in Belgien tätig. Während der Besatzung im ersten Weltkrieg wird sie von einem deutschen Militärgericht wegen Fluchthilfe für alliierte Soldaten zum Tode verurteilt und am 12. Oktober 1915 hingerichtet. Ein Vorfall, der dem ohnehin angeschlagenen Ruf der Deutschen damals nicht wirklich zuträglich ist.


Schon im gleichen Jahr erhält ein 1898 gebautes, britisches Dampfschiff in ihrem Gedenken den Namen Edith Cavell. Im Jahr 1924 bricht es in Marseille auf seine letzte Reise auf. Am 27. November verlässt es den Zwischenstopp Cayenne und erreicht am nächsten Tag den Fluss Maroni. Zwei Tage später läuft es vor Saint-Laurent-du-Maroni auf Grund. Wassereinbruch im Maschinenraum, Pumpen kämpfen vergeblich, knapp ein Drittel der Ware wird geborgen, am 30. Dezember bricht die Edith Cavell in zwei Teile.

Der vermeintliche Unfall schlägt hohe Wellen, auch auf diplomatischer Ebene. Eine Schuld des französischen Piloten oder falsche Markierung der Untiefe sind schnell verworfen. Am 13. Januar 1925 werden Kapitän, erster Offizier und Chefmaschinist vor Ort verhaftet, der Rest der Mannschaft dagegen kurze Zeit später nach Europa verschifft.


Der Maschinist kommt schnell wieder frei. Der Vorwurf an Kapitän und 1. Offizier lautet dagegen auf „vorsätzliches Verlassen des Schiffes“. Die Engländer intervenieren. Zur von Französisch-Guyana angestrebten Anklage kommt es damit nicht. Am 6. Februar 1925 kommen die Offiziere gegen Kaution frei. Einige Monate nach Ihrer Rückkehr nach England sterben sie. Todesursächlich seien die Haftbedingungen gewesen. Dafür erhalten deren Familien dann 1927 auch hohe Entschädigungen. Natürlich zu zahlen von der lokalen Regierung in Französisch-Guyana. Irgendwie schon alles recht komisch. Da liegt der hier vor Ort offen ausgesprochene Gedanke eines Versicherungsbetruges durchaus nahe.



Heute ist das Wrack eine markante Landmarke vor Saint-Laurent-du-Maroni. Komplett mit Bäumen und Büschen überwachsen braucht es mehr als einen flüchtigen Blick, um die Reste des Dampfschiffes zu erkennen. Auch die gelben Markierungen sind eher gut gemeint als sichtbar. Insgesamt ein wirklich beeindruckender Anblick.
