¡Vete a la mierda!

Wir wissen natürlich nicht, ob diese Worte Herrn V. im chilenischen Gesundheitsministerium wirklich durch den Kopf gegangen sind. Die Vermutung liegt jedoch nahe. Über Wochen, ja Monate hinweg landen alle von unserem Honorarkonsul über verschiedenste Kanäle initiierten Anläufe bzgl. einer Ausnahmegenehmigung für unsere Einreise auf seinem Schreibtisch. Genauso lange lautet seine stets gleiche Antwort:

¡No!

Obwohl, bleiben wir ehrlich. Nachdem Herr V. ausgeführt hatte, dass wir keine ausreichenden Gründe für eine Einreise vorgelegen, stellten wir Ende Oktober einen weiteren Antrag aus humanitären Gründen. Schließlich war die Crew seit Mitte 2019 nicht mehr beim Arzt. Zeitlich in Ushuaia anstehende (Vorsorge-)Untersuchungen waren aufgrund der Quarantäne nicht möglich. So listeten wir also für jeden von uns medizinische Gründe für eine Einreise auf. Das kann doch das Gesundheitsministerium nicht ablehnen! Tat es auch nicht. Herr V. ignorierte diesen Antrag einfach.

Nun kam kurz vor Weihnachten die Antwort einer zweiten Verbalnote unserer Botschaft an das Außenministerium. Unser Honorarkonsul solle mit den lokalen Gesundheitsbehörden vor Ort unsere Einreise abstimmen. Das klingt ja eigentlich nicht schlecht. Doch auch dieser Anlauf landet natürlich wieder auf dem gleichen Schreibtisch. Da nun das Außenministerium irgendwie dahinter steht, ist der Adressat wohl wenig motiviert sich eingehender damit zu beschäftigen. Zum Glück fällt Herrn V. spontan unser Antrag von Ende Oktober wieder ein. Nur auf diesen erhalten wir nun endlich eine Antwort: Offensichtlich von weihnachtlicher Nächstenliebe beseelt wird uns nun aus humanitären Gründen gestattet, notwendige medizinische Untersuchungen durchführen zu lassen. Mit Terminvereinbarung und einzureichender Dokumentation als Nachweis. Aus anderen Gründen dürfen wir das Boot weiterhin nicht verlassen. Schließlich sei eine Einreise aus touristischen Gründen in das Land aktuell nicht möglich. Letzteres mag für den Zeitpunkt des Antrags Ende Oktober stimmen, ist seit Ende November jedoch schlichtweg gelogen. Letzte Wochen haben wir in La Estancilla (Außenstelle des Club de Yates Valdivia) viele frisch eingetroffene Touristen getroffen. Nach 20 Stunden im Flugzeug durften sie in Santiago problemlos einreisen. Dann noch eine mehrstündige Busfahrt nach Valdivia (noch bis heute in Phase 1 = Quarantäne!) und schon war alles gut. Natürlich dürfen Sie auch in die Stadt. Von den tausenden extra zur Sonnenfinsternis legal eingereisten Touristen wollen wir da gar nicht erst anfangen. Wir dagegen sind auch nach vier Monaten „freiwilliger Quarantäne“ offensichtlich immer noch eine zu große Gefahr für die Gesundheit des Landes.

Warum sind wir eigentlich immer noch hier? Ganz einfach, wir haben auf die Einreise gehofft. Wir wollten von Chile mehr sehen, als einsame Buchten in den Kanälen des Südens. Wir wollten durch das angeblich sehr schöne Valdivia bummeln. Wir wollten auch auf den über 1.000sm chilenische Küste Richtung Norden ankern, anlegen, das Land erkunden. Wann kommen wir schon mal wieder hier her? Doch ganz offensichtlich sind wir von einer grenzwertig ungesunden Mischung aus Dummheit, Zuversicht und Vertrauen in gesunden Menschenverstand befallen. Zumindest wenn man es mit einem derart ignorant-asozialen Fall wie Herrn V. in Santiago zu tun hat.

Wir haben endgültig genug. Gestern haben wir das letzte Paket aus Deutschland bekommen. Heiligabend packen wir es zur Bescherung gemeinsam aus. Heute noch kommt das Dinghy auf das Vorschiff. Am 26. Dezember erhalten wir eine letzte Lieferung vom Supermarkt. Und wenn nicht noch ein „immigrationstechnisches“ Wunder geschieht, dann folgen wir noch dieses Jahr der Aufforderung der Überschrift und „verpissen“ uns auf direktem Weg raus aus Chile. Eine Anfrage beim Yachtclub in Callao zur aktuellen Situation in Peru (über die Immigration von Seglern dort hört und liest man ja nur Horrorgeschichten) ist raus. Ansonsten habe ich auch den direkte Kurs nach Ecuador (ca. 2.350sm) schon mal abgesteckt.

Was für ein Ende. Echt traurig. Chile ist so ein schönes Land, von dem wir so wenig gesehen haben. Wir durften so viele unglaublich nette und hilfsbereite Menschen kennenlernen und dann wird der Gesamteindruck von einem Einzelnen derartig angekratzt. Ja, uns wurde mehrmals gesagt, dass das nicht Chile sei. Andererseits sei dieses „wischi-waschi-nicht-echte-Lösung-finden“ dann aber doch wieder typisch Chile. Was denn nun?

Vielleicht merkt man, dass diese Zeilen nicht in einem Gemütszustand tiefer Entspannung geschrieben sind. Ja, ich bin stinksauer und erlaube mir, diesen Umstand nur notdürftig zu kaschieren. Vielleicht bereue ich schon morgen meine hier niedergeschriebenen Worte. Das macht sie aber nicht weniger authentisch. Blauwassersegeln ist ein wunderschönes Privileg. Aber nein, es ist selbst in normalen Zeiten nicht immer alles Eitel-Sonnenschein. Das wollen wir auch in diesem Blog nie behaupten. Umso mehr sei es mir also bitte gestattet und gegebenenfalls auch verziehen, wenn ich nun fast schon im Affekt und ohne die bei der Bundeswehr übliche „militärische Nacht“ darüber zu schlafen unserem Ärger über diese unnormale Erfahrung Ausdruck verleihe. Das ändert nichts daran, dass unsere Familie ihre Entscheidung zu dieser Auszeit unter Segeln noch nie bereut hat und wir gerade auch in der aktuellen C*-Situation nirgendwo lieber wären, als hier auf unserem Boot.

In diesem versöhnlichen Sinne gilt unser Dank all den lieben Menschen, die immer für uns da waren, sind und sein werden… sei es nun zu Hause in Deutschland oder zu Hause bei unserer Samai.

Euch behalten wir im Herzen!