Väterchen Frost

Mittwoch, 16. November 2022

So langsam kommt die kalte Jahreszeit. Für Bootseigner ist das meist eine traurige Zeit. Für die Boote natürlich auch. Einsam stehen oder liegen sie an Land oder auch im Wasser. Verlassen von ihren Eignern, alleine unter Leidensgenossen. Gut vorbereitet auf die dunklen Woche und Monate. So sollte es zumindest sein. Doch ein warmer Herbst verführt zur Nachlässigkeit.

Eher aus beiläufigem Interesse schaue ich mir den Wetterbericht für Kühlungsborn an. Hmmm… da sind für das Wochenende nur mehr 2-3 Grad vorhergesagt. Mit einem Minus davor. Nicht gut. Ich bin von Freitag bis Sonntag in Cuxhaven. Spontan werfe ich meine ohnehin nicht sehr feste Planung für Donnerstag über den Haufen. Nun steht ein Kurzausflug an die Ostsee auf dem Programm.

Donnerstag, 17. November 2022

Der Morgen beginnt mit der üblichen „die-Kinder-müssen-in-die-Schule“-Routine. Danach fahre ich direkt hoch nach Kühlungsborn. Im Hafenbüro kläre ich noch kurz, dass unsere Samai über Winter auf ihrem jetzigen Platz liegen bleiben kann. Zum Glück. Es ist echt ungemütlich heute. Der kalte, kräftige Ostwind motiviert nicht gerade dazu, das Boot einhand zu verholen. Außerdem ist es gerade so schön festgemacht. Sie bleibt die nächsten Monate also dort, wo sie schon seit kurz nach unserer Rückkehr liegt.

Aus dem Einwintern eines Segelbootes kann man eine wahre Philosophie machen. Wie aus so vielen Dingen an Bord. Ich beschränke mich heute auf die drei wichtigsten Punkte. Alle betreffen das Wasser an Bord.

Punkt 1: Der Wassermacher

Wir haben den Wassermacher bisher noch nie einwintern müssen. Doch Frost kann nicht nur vorhandenes Restsüßwasser einfrieren, sondern auch die Membran zerstören. Muss also sein. Langes Durchspülen mit anschließender Sterilisation ist Pflicht. Dafür haben wir eigentlich die Steri-Box. Pulver rein, Süßwasser an und ruckzuck ist die Sache erledigt. Erstes Problem: Das Steri-Pulver ist kein Pulver mehr, sondern hat in den letzten Jahren die Konsistenz eines festen Blockes angenommen. Zweites Problem: Bei Frostgefahr schlägt die Anleitung von Dessalator die Verwendung von Glycerin vor. Das habe ich besorgt. Doch das Prozedere ändert sich damit. Angeblich. Ich fülle einen Eimer im extra für mich aufgeschlossenen Nassbereich des Hafens mit warmen Wasser und löse das mit einem Hammer mehr oder weniger gefühlvoll vorverarbeitete „Pulver“ darin auf. Zurück im Boot kommt ein Liter Glycerin dazu. Diese Mischung soll ich laut Anleitung nun über den Schlauch für das Salzwasser ansaugen lassen.

Drittes Problem: Ich habe schon seit einiger Zeit einen schlimmen Verdacht bezüglich des Ventils vom Wassermacher. Vorsichtshalber löse ich den Schlauch am oberen Ende. Gute Entscheidung. Das Ventil steht zwar auf „geschlossen“, trotzdem sprudelt es aus dem Schlauch. Interessanter Weise deutlich mehr, als in der Ventilstellung „offen“. Ich verstopfe den Schlauch, und frickel einen anderen Schlauch an den Zulauf. Wassermacher eingeschaltet, ein paar erste Tropfen landen im Filter, doch dann ist Schluss. Da saugt nicht wirklich etwas mein Steri-Glycerin-Gemisch an.

Nach einigen erfolglosen Versuchen dann Plan B. Ich kippe das Gemisch in den leeren Wassertank und lasse es über den Frischwasserzulauf durch den Filter in die Membran laufen. Ich hoffe nur, dass die Menge ausreicht. Abschließen die Schläuche wieder ran, die Schrauben GUUUUT festziehen und fertig. Auch wenn all die Jahre nichts passiert ist trotzdem ein komisches Gefühl, unsere arme Samai mit einem nicht richtig schließenden Ventil zurück zu lassen.

Punkt 2: Trinkwasser und Toilette

Der Wassertank ist immerhin schon mal leer. Nun müssen die Leitungen noch mit dem Frostschutz durchgespült werden, den ich glücklicherweise schon bei unserem letzten Besuch nach Kühlungsborn habe liefern lassen. Nachdem der großen Schlüssel für das Öffnen der Filter wieder aufgetaucht ist, bekomme ich den Deckel auch endlich gelöst. Puh, das müffelt ganz schön. Es ist leider ein altbekanntes Problem, dass sich insbesondere in den Toilettenschläuchen bei längerer Nichtbenutzung das Leben ausbreitet. Und stinkt.

Kräftig mit Salzwasser durchspülen, den rosa Frostschutz in den Filter gegeben und nochmal gespült, bis sich das Wasser in der Schüssel färbt. Der Rest vom verdünnten Frostschutz kommt in den Wassertank. Dusche, Bad- und Küchenwasserhähne sowie die Heckdusche aufgedreht, bis sich auch hier das Wasser färbt. Schließlich noch den Kopf der Heckdusche abgeschraubt und fertig.

Nicht ganz. Ich sollte den Warmwasserboiler noch leeren. Ich klappe den Niedergang hoch und traue meinen Augen kaum. Die Motorbilge ist voller Wasser. Ich kann mich nicht daran erinnern, das darin „vergessen“ zu haben. Die Zungenprobe ist nicht ganz eindeutig. So richtig salzig schmeckt es nicht, allerdings sind wir sind nun auch in der zu Brackwasser neigenden Ostsee. Am deutlichsten schmeckt es nach Metall und anderen Inhaltsstoffen, die eigentlich nicht zum Verzehr geeignet sind. Ganze drei Pütz = 30 Liter schöpfe ich raus.

Nun der Boiler. Ich löse nach einigen Versuchen den Zulaufschlauch, doch es fließt nichts raus. Ok, mir wurde mal gesagt, dass ich das auch über die Schläuche an der Wasserpumpe machen könne. Kaum löse ich diesen Schlauch, erinnert mich umherspritzendes Wasser daran, dass ich die Pumpe vorher hätte abstellen sollen. Blöd. Nochmal Bilge auswischen.

Was ich auch versuche, mir gelingt es nicht auch nur einen Tropfen aus dem Boiler zu bekommen. Dann fällt mir ein, dass dieser ja ein Fassungsvermögen von 30 Litern hat. Wieviel hatte ich doch gleich aus der Motorbilge geholt? Kann das Zufall sein??? Tendenziell nicht. Nächstes Problem: Wie kommt das Wasser aus dem Boiler in die Bilge? Ein hoher Neueinsteiger auf der langen 2do-Liste für den Frühling.

Punkt 3: Die Motorkühlung

Der Motor hat zwei Kühlkreisläufe. Der innere ist mit einer speziellen Flüssigkeit gefüllt, die noch ausreichend Frostschutz haben sollte. Aber warum nur ist der kürzlich aufgefüllt Behälter fast leer? Nun gut, erst einmal den Motor anwerfen. Klappt nur nicht. Tapfer rödelt der Starter bis er erstirbt. Das erinnert an das kalte Patagonien. Was hatten wir da immer gemacht? Richtig: Überbrückungskabel. Mit Unterstützung der ecuadorianischen Verbraucherbatterien kommt der Motor endlich in Gang. Wie durch Zauberhand füllt sich nun auch der Behälter des inneren Kühlkreislaufs. Muss ich das verstehen?

Ich krame in meinen Erinnerungen, wie genau ich den Frostschutz für die Seewasserkühlung da nun einfüllen muss. Irgendwann einige ich mich auf Motor an und Ventil zu. Dann wird das Mittel brav aus dem Filter gesaugt. Auch wenn ich das hier jetzt etwas abgekürzt habe, klappte es doch besser als so manch anderes am heutigen Tag.

Damit sollte unser Boot unbeschadet durch den norddeutschen Küstenwinter kommen. Ich packe noch ein paar Sachen ein und schaue mich unter Deck um. Ein Anflug von Wehmut. Meine Gedanken wandern zurück. Wie es war und wie es ist. Viel zu tun. Samai schreit nach Liebe. Mehr Liebe, als ich ihr heute geben kann. Doch die wird sie noch bekommen. Spätestens im Frühjahr mache ich mich ernsthaft an die dreistellige (sic!) Anzahl Posten auf der 2do-Liste. Für heute muss es ihr reichen. Ein letzter Blick zurück. Bis bald!